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Geheimdienstchef darf bleiben Oberstes Gericht pfeift Regierungschef Netanjahu zurück

Der vom Premierminister entlassene Schin-Bet-Chef darf vorerst im Amt bleiben. Es ist das nächste Kapitel in einem Machtkampf zwischen Regierung und Justiz, der Israel seit Jahren spaltet.

Ein Blick in den Gerichtssaal in Jerusalem genügte am Dienstag, um zu sehen, dass es um mehr als eine blosse Personalie im Staatsapparat ging. Der Streit um die Entlassung des Geheimdienstchefs führte nämlich zu Beginn der Verhandlung zu tumultartigen Szenen:

«Schande!», riefen Anhängerinnen und Anhänger der Regierung von Benjamin Netanjahu. Hinterbliebene des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023 warfen der Geheimdienstspitze vor, die Terrorattacke nicht verhindert zu haben. Schliesslich wurde der Gerichtssaal geräumt.

Oberstes Gericht interveniert

Das Richtergremium hat nun einen Entscheid gefällt, der ihre Empörung weiter verstärken dürfte: Die Regierung darf Schin-Bet-Chef Ronen Bar vorerst nicht entlassen. Dies, nachdem in den letzten Wochen Zehntausende Menschen gegen seine Absetzung protestiert hatten.

Protest im Gerichtssaal
Legende: Die Richter erliessen eine einstweilige Verfügung, wonach der Schin-Bet-Chef im Amt bleiben muss und seine Befugnisse nicht eingeschränkt werden dürfen, bis es eine finale Entscheidung in dem Fall gibt. Bild: Protest im Gerichtssaal. Reuters/Ronen Zvulun

Der Fall ist komplex. Im Kern geht es um die Frage, wie viel Macht die Politik und wie viel die Justiz in Israel haben soll. «Die aufgeheizte Stimmung im Gerichtssaal zeigte, wie kontrovers die Diskussion geführt wird», sagt SRF-Auslandredaktor Beat Vogt. Netanjahu und seine Anhängerschaft wähnten die Gerichte schon länger gegen sich und hätten die Verhandlung zur Plattform für ihren Protest gemacht.

Doch auch für Kritikerinnen und Kritiker des Regierungschefs ging es um mehr als die Besetzung des Chefpostens beim Geheimdienst. Sie werfen Netanjahu unlautere Motive vor: So soll Israels Premier unliebsame Ermittlungen gegen Mitarbeitende torpedieren wollen, indem er Ronen Bar kurzerhand absetzte.

«Katargate»: Netanjahus Vertraute unter Verdacht

Box aufklappen Box zuklappen

Im Vorfeld der Fussball-WM in Katar 2022 soll der Golfstaat viel Geld an enge Mitarbeiter Netanjahus gezahlt haben, um im Gegenzug das Image des Emirats in Israel zu verbessern. Katar gilt in Israel nämlich als wichtiger Sponsor der Hamas. Öffentlich zeigt Netanjahu deshalb seit Jahren mit dem Finger auf Katar. Katar weist die Vorwürfe entschieden von sich.

Angesichts dieser Attacken wäre es nicht nur ein handfester Skandal, wenn sich die Vorwürfe gegen Netanjahus Mitarbeiter bewahrheiten sollten, schätzt Susanne Brunner, die langjährige Nahostkorrespondentin von SRF. «Wenn sie Gelder von einem Staat annehmen, der mutmasslich die Terrororganisation finanziert, welche Hunderte von Israeli getötet und entführt hat, wäre das eventuell sogar Landesverrat.»

«Die Beziehungen zwischen Netanjahu und Geheimdienstchef Bar gelten aber auch abseits von ‹Katargate› als belastet», sagt Auslandredaktor Vogt. In einer Untersuchung des Geheimdienstes über die Fehler, die das Hamas-Massaker vom Oktober 2023 in Israel ermöglicht hatten, ist auch Netanjahus Rolle kritisch beleuchtet worden. Der Terrorüberfall war Auslöser des Kriegs im Gazastreifen.

Schwelender Machtkampf

Israels Regierung hatte die Entlassung des Inlandsgeheimdienstchefs im März beschlossen. Das Gericht hatte die Entscheidung kurz darauf mit einer einstweiligen Verfügung ausgesetzt. Diese galt zunächst bis zur mit Spannung erwarteten Beratung des Gerichts am Dienstag.

Für Vogt zeigt der Fall exemplarisch, wie verhärtet die Fronten in Israel sind: Hier die Regierung, die der Justiz vorwirft, sich in politische Entscheide einzumischen. Dort die Kritikerinnen und Kritiker, die vor einem politisch motivierten Justizumbau warnen. Ihr Vorwurf: Netanjahus rechts-religiöse Koalition wolle die Justiz delegitimieren und die eigene Macht ungebremst ausbauen.

Wie reagiert Netanjahu?

Netanjahus Büro sprach von einer «erstaunlichen» Entscheidung. Die Richter hätten während der Anhörung mehrfach betont, dass es in der Autorität der Regierung liege, den Schin-Bet-Chef abzusetzen. Allerdings hatten die Richter kritisiert, wie er abgesetzt wurde.

Das Gericht gab nun vor, dass die Regierung bis zum 20. April «eine kreative Lösung» finden müsse. Bis dahin müsse Bar «mit allen Kompetenzen» im Amt bleiben. Ob die Regierung sich an die Vorgaben halten wird, ist offen. Einige Minister sehen das Gericht als nicht befugt, in die Regierungsentscheidung einzugreifen, und haben offen dazu aufgerufen, sie zu ignorieren.

SRF 4 News, 9.4.2025, 10:12 Uhr; herb ; 

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