Gross war die Hoffnung, als Mitte Januar endlich ein Waffenruhe- und Geiselfreilassungsabkommen zwischen Israel und der terroristischen Hamas zustande kam – unter Druck von Donald Trump, der bald darauf sein Amt als US-Präsident antreten sollte und Ruhe im Gazastreifen wünschte.
Doch das dreistufige Abkommen stand von Beginn an auf tönernen Füssen. Ende Februar ging die erste Phase zu Ende. Seither standen die Zeichen auf Eskalation. Die zweite Phase hätte nebst weiteren Geiselfreilassungen einen Rückzug israelischer Truppen aus dem Küstenstreifen vorgesehen, insbesondere auch vom Philadelphi-Korridor an der Grenze zu Ägypten.
Israel und USA stellten neue Bedingungen
Zudem waren Gespräche über eine Beendigung des Krieges und eine dauerhafte Waffenruhe vorgesehen. Beidem hat sich Israel verweigert. Alle konstruktiven Vorschläge, eine Alternative zur Hamas aufzubauen, hat Israel blockiert. Und die Hamas nutzte die Zeit, um sich neu aufzustellen.
Derweil brachten Israel und die USA plötzlich neue Bedingungen für die Freilassung israelischer Geiseln ins Spiel. Sie setzten die Hamas massiv unter Druck, diese Bedingungen zu akzeptieren, ohne gleichzeitig ein Ende des Kriegs in Aussicht zu stellen. Darauf liess sich die Hamas nicht ein. Sie hätte nichts gewonnen.
Grosse Mehrheit der Israeli unterstützt Abkommen
Weshalb also hat Regierungschef Benjamin Netanjahu beschlossen, die Angriffe auf Gaza mit voller Wucht wieder aufzunehmen? Kaum, um die noch in Gaza verbliebenen Geiseln nach Hause zu holen, wie die Regierung sagt. Vielmehr ist zu befürchten, dass deren Überleben akut gefährdet ist. Ihre Angehörigen und kürzlich freigelassene Geiseln reagierten denn auch schockiert und entsetzt auf die israelischen Angriffe. Sie unterstützen das Waffenruhe-Abkommen in seiner ursprünglichen Form, wie auch 70 Prozent der israelischen Bevölkerung. Priorität hat für sie das Schicksal der Geiseln.
Netanjahu hingegen gewichtet sein politisches Schicksal offensichtlich höher. Für ihn stimmt die Rechnung vorerst: Der ultrarechte Nationalist Itamar Ben Gvir, der die Regierungskoalition aus Protest gegen das Waffenruhe-Abkommen Mitte Januar verlassen hatte, kündigte prompt die Rückkehr seiner Partei in den Schoss der Regierung an. Das stärkt Netanjahu, der wegen zahlreicher Skandale und seinem Korruptionsprozess angezählt ist, den Rücken.
Amos Harel, Militärstratege der linksliberalen Tageszeitung «Haaretz», schreibt in seinem Kommentar, die Wiederaufnahme des Kriegs offenbare Netanjahus eigentliches Ziel: einen endlosen Krieg zur Sicherung seines politischen Überlebens.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Israels Ministerpräsident Netanjahu nie die Absicht hatte, alle drei Phasen des Waffenstillstandsabkommens einzuhalten.