Es sind ungewöhnliche Szenen für einen Januar, die sich in diesen Tagen in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires abspielen. Denn eigentlich ist jetzt, im Südsommer, Ferienzeit.
Doch in diesem Jahr ist alles anders: Das Parlament kommt zu ausserordentlichen Sitzungen zusammen. Vor dem Regierungsgebäude stehen Satellitenwägen der Fernsehsender, jederzeit für eine Übertragung bereit. Denn für Donnerstag ist ein Generalstreik angekündigt.
Sonderrechte mit «Omnibus-Gesetz»
Gerade einmal zwei Monate ist es her, dass der libertäre Javier Milei die Stichwahl um das Präsidentenamt gewonnen hat, mit 56 Prozent der Stimmen. Noch immer ist der Rückhalt für die rechts-libertäre Regierung gross, das zeigen Umfragen. Doch der Widerstand wächst.
Dass die Gewerkschaften gerade mal anderthalb Monate nach Amtsantritt zum Generalstreik aufrufen, ist ein Rekord. So schnell gab es in Argentinien noch nie einen Streik gegen eine neue Regierung. Unter anderem richtet sich der Protest gegen das sogenannte «Omnibus-Gesetz», das praktisch alle Bereiche des öffentlichen Lebens betrifft und dem Präsident umfassende Sonderbefugnisse einräumen soll.
Wir machen nichts anderes als das, was Präsident Milei im Wahlkampf versprochen hat.
Ziel des Gesetzes ist es, massiv zu deregulieren. Medikamente könnten überall und von jedem verkauft werden, auch an einem Kiosk. Mieterschutzgesetze würden gekippt, der Waldschutz geschwächt. Öffentliche Unternehmen – darunter Bahn, Post und Trinkwasserversorgung – würden privatisiert.
Die Polizei dürfte von Autofahrern in Zukunft weder den Versicherungsschein, noch den Beleg über die technische Fahrzeugprüfung verlangen. Das Versammlungsrecht würde eingeschränkt. Der Präsident könnte den Notstand ausrufen und für zunächst ein Jahr über Gesetze entscheiden, ohne dafür die Zustimmung des Parlaments einholen zu müssen.
Das geht vielen zu weit. Der Justiz liegen Dutzende von Verfassungsbeschwerden vor. Seit Wochen gibt es immer wieder Spontanproteste und Bürgerversammlungen in vielen Quartieren von Buenos Aires. Künstlerinnen und Künstler demonstrierten so lautstark gegen die Schliessung von Kulturinstituten, dass die Regierung einige der Streichungen rückgängig machte.
40 Prozent der Bevölkerung arm
Im rosafarbenen Regierungsgebäude, der Casa Rosada, versteht man die Aufregung um die Reformen nicht. «Wir machen nichts anderes als das, was Präsident Milei im Wahlkampf versprochen hat», erklärt Regierungssprecher Manuel Adorni SRF im Interview.
Der Sprecher fügt an: «Alle Reformen bedeuten mehr Freiheit für die Menschen. Die Frage ist also: Wer stellt sich gegen diese Freiheiten? Wofür sind sie, wenn sie dagegen sind, dass es den Menschen besser geht, dass sie freier sind?» Es fehle an Investitionen, die Gehälter seien zu niedrig, die Wirtschaft stagniere: «Das wollen wir ändern!»
Tatsächlich ist die Situation im Land dramatisch. Mehr als 40 Prozent der Bevölkerung ist arm, die Inflation liegt allein im Monat Januar bei rund zwanzig Prozent. Die Landeswährung Peso verliert an Wert, die Gehälter bleiben hinter der Inflation zurück, die Preise steigen.
Der Generalstreik heute ist die erste Machtprobe für den Präsidenten. Wie es weitergeht, dürfte sich im März zeigen: Dann erst greifen alle Streichungen und Kürzungsmassnahmen.