Einmal im Jahr analysiert das Londoner Strategieinstitut IISS die grossen geopolitischen Trends. Und blickt dabei jeweils auch nach vorn, diesmal also auf 2021. Es ist ein düsterer Ausblick.
Das Coronavirus hat zwar die Welt durcheinander geschüttelt – doch die Grosskonflikte zwischen mächtigen Ländern halten unvermindert an. Manche dürften sich noch verschärfen.
Spannungen zwischen Grossmächten
2020 war das Jahr der Pandemie. Corona drängte andere Konflikte in den Hintergrund. Doch verschwunden sind sie nicht. Besorgniserregend ist aus Sicht der Londoner Strategiedenkfabrik IISS, wie sehr die Spannungen zwischen den Grossmächten wachsen. Das Verhältnis der beiden wichtigsten, USA und China, ist so schlecht wie nie seit den 1960er Jahren. Jenes zwischen den USA und Russland ist schlechter als jemals seit den 1980ern. Zwischen China und Indien ist die Lage so prekär wie 1975. Und die Beziehung zwischen Europa und den USA ist nach vier Jahren unter Präsident Donald Trump so unsicher wie sie es seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr wahr.
Immerhin: Das europäisch-amerikanische Verhältnis dürfte sich unter Präsident Joe Biden wieder bessern, zumindest atmosphärisch. Bei den übrigen Grossmachtverhältnissen sehen die Londoner Strategen hingegen schwarz.
Keine Dominanz der USA
Irritierend ist ausserdem das aussenpolitische Abenteurertum vor allem autoritärer Herrscher: In Aserbaidschan und der Türkei gegen Armenien, in Russland gegenüber der Ukraine und in Syrien, in China im südchinesischen Meer – um nur wenige Beispiele zu nennen. Früher verhinderte die US-Dominanz vieles, mit mehr oder minder sanftem Druck. Doch auch unter Biden kehrt diese Dominanz nicht zurück. Der neue Herr im Weissen Haus muss zunächst innenpolitische Wunden heilen, bevor sein Augenmerk der Aussenpolitik gilt. Zudem offenbarten die USA in der Pandemiebekämpfung ein erschreckendes Kompetenzdefizit, das ihrem Ruf noch lange schaden wird.
Gleichzeitig ist das multilaterale System, in dessen Zentrum die Uno steht, erschüttert.
Forsches China
China wiederum tritt nicht in die Fussstapfen der USA. Es wird zwar selber zur Supermacht. Anders als die USA vermochte es aber nicht, starke Allianzen zu bilden. Die «neue Seidenstrasse» wird weniger als Angebot für eine faire Partnerschaft verstanden, sondern als Versuch, Einfluss in weiten Teilen der Welt zu mehren. Das zunehmend forsche, mitunter aggressive Auftreten kostet Peking und Staatschef Xi Jinping viel Sympathien – von der Nachbarschaft in Ostasien bis Europa, Afrika und Südamerika. Und es blieb nicht unbemerkt, dass China die Pandemie dazu nutzt, im eigenen Land, von Hongkong über Tibet bis Xinjiang, der Heimatregion der muslimischen Uiguren die Schraube noch stärker anzuziehen. Immer weniger sehen China als sympathische Grossmacht.
Ob und wie gut sich der Westen behauptet, wird nicht militärisch entschieden. Das entscheidende Schlachtfeld ist das digitale Terrain. Die IISS-Experten sprechen vom neuen «Digital Great Game». Noch fehlen hier Spielregeln. Noch agieren die Spieler äusserst grob. Und noch steht der Sieger nicht fest.
Sicher ist: Die Konfrontation zwischen den Grossmächten belastet die Welt schwer. Lösungen für anhaltende Konflikte sind ebenso schwer zu finden wie gemeinsame Ansätze gegen den Klimawandel oder zur Pandemiebekämpfung. Die geopolitischen Spannungen dürften 2021 weiterwachsen. Das ist bedrohlich, denn Spannungen haben die Eigenschaft, sich gelegentlich zu entladen, mit Blitz und Donner.