Das Mineralwasser von Vittel aus dem Osten von Frankreich ist weltberühmt. Und für Nestlé ein äusserst profitables Geschäft. Der Schweizer Grosskonzern macht Milliardenumsätze damit, Quellwasser in Flaschen abzufüllen und zu verkaufen.
Die Einwohner des Kurstädtchens aber sitzen zunehmend auf dem Trockenen: Die massive industrielle Nutzung gräbt den Anwohnern buchstäblich das Wasser ab, der Grundwasserspiegel ist dramatisch abgesunken.
Der Wolf im Schafspelz
Die mickrigen Apfelbäumchen sind vertrocknet, das Land verödet.
Auf dieser Obstwiese nahe Vittel lässt Biobauer Benoît Gille seine 700 Shropshire-Schafe weiden. Schafzucht und Obstanbau, in der biologischen Landwirtschaft normalerweise eine Erfolgsgeschichte.
Doch der Bauer kämpft seit Jahren. Gegen die zunehmende Trockenheit, gegen den hungrigen Wolf. Und vor allem gegen den Landbesitzer. «Der grösste Räuber, der unsere Farm bedroht, ist der Eigentümer der Agrarflächen: Nestlé Waters. Um seine Quellen zu schützen, verweigert er uns den Zugang zum Wasser.», sagt Bauer Gille.
Das Unternehmen ist der Räuber, viel gefährlicher als der Wolf. Gegen Wölfe haben wir unsere Hunde, das funktioniert gut.
Bauer Gille muss, obwohl er auf einem der grössten unterirdischen Wasserreservoirs Europas sitzt, täglich bis viermal Wasser aus einem entfernten Dorf holen und zu seinen Schafen karren.
Das Wasser sprudelt nur noch für Nestlé
Nestlé besitzt die Quellen seit Ende der 60er Jahre und füllt heute mehr als 2 Millionen Flaschen täglich aus der «Bonne Source» von Vittel ab. 750'000 Kubikmeter Mineralwasser im Jahr, das hauptsächlich nach Deutschland und auch in die Schweiz exportiert wird.
Viel zu viel, denn der Grundwasserspiegel sank bereits um 10 Meter, sagt Bernard Schmitt: «Wegen geologischer Spalten ist der grundwasserhaltige Sandsteinblock unter Vittel isoliert. Da man zu viel Wasser abpumpt, füllt sich dieser Speicher zu langsam.»
3 Milliarden Liter werden pro Jahr abgezapft, 2 kommen wieder hinzu. Das ergibt ein chronisches Defizit von einer Milliarde Liter pro Jahr – seit über 40 Jahren.
Während die Anwohner zum Wassersparen angehalten werden, zapft Nestlé mit dem Segen der französischen Behörden weiter im grossen Stil ab.
Der Staat macht sich mitschuldig
Der Staat mache sich mitschuldig, wenn er das Abfüllen weiter zulasse, sagt Bernard Schmitt. Die Bereitwilligkeit der Behörden, die Quellenbesitzer zu bevorzugen, erklärt sich durch die Geschichte. Vittel lebt seit 1854 gut vom Vogesen-Wasser, mit dem die Schönen und Reichen in der Therme erst allerlei Wehwehchen kurierten, bevor es auch in Flaschen abgefüllt wurde. 1992 ganz von Nestlé übernommen, boomte das Geschäft mit dem Wasser.
Eine Trinkwasser-Pipeline für die Einwohner
Von den einst 4500 Arbeitsplätzen sind heute zwar nur noch 900 übrig. Nestlé bleibt aber ein wirtschaftliches Schwergewicht. Was die lokale Wasserkommission dazu brachte, eine kilometerlange Pipeline in Erwägung zu ziehen. Diese sollte Vittel mit Trinkwasser aus dem Nachbardorf versorgen. Eine Idee, die den ehemaligen Bürgermeister zu einem vielbeachteten Strohballen-Protest trieb.
Was für eine bescheuerte Idee! Wir sollen behandeltes Röhren-Wasser trinken, damit Nestlé das gute Wasser weiter den Leuten verkaufen kann?
Weil dem Vorhaben offenbar auch falsche Zahlen zugrunde lagen, wurde das Pipeline-Projekt vor kurzem von den Behörden begraben. Es scheint, als habe der Wind ein wenig gedreht. Die Präfektur hat die lokale Wasserkommission zurückgepfiffen.
Nestlé gelobt Besserung
Der Grundwasserspiegel soll sich regenieren, die Nutzung den Bedürfnissen der Bevölkerung angepasst werden, nicht wie bisher umgekehrt. Während das Bürgermeisteramt nicht auf Anfragen reagierte, betont Nestlé, dass die Wasserentnahmen aus den tiefsten Schichten seit längerem zurückgefahren würden.
Nestlé Waters France hat die Entnahmen aus der Bonne Source zwischen 2010 und 2019 schrittweise um 30 Prozent reduziert. Eine Reduktion um weitere 5 Prozent bis Ende 2020 ist vorgesehen.
Dem Unternehmen den Hahn zuzudrehen, hätte Konsequenzen für die Arbeitsplätze, das ist man sich auch in Vittel sehr bewusst.
Benoît Gilles und seine Schafe suchen ihr Glück vielleicht dennoch bald woanders. Denn solange Nestlé zwei Drittel der Landflächen um Vittel kontrolliert und der Region weiter das Wasser abgräbt, kommt der Biobauer auf keinen grünen Zweig.