Haiti befindet sich im Ausnahmezustand. Noch immer terrorisieren bewaffnete Banden die Bevölkerung. Auch eine Hilfsmission mit kenianischen Polizeikräften konnte die Lage in der Hauptstadt nicht unter Kontrolle bringen. Im übrigen Teil des Landes sei weiterhin Hilfsarbeit möglich, berichtet Esther Belliger vom Hilfswerk Helvetas in der Küstenstadt Jacmel im Süden des Landes.
SRF News: Wie erleben Sie die Lage vor Ort?
Esther Belliger: Wenn man in der Schweiz über Haiti spricht, geht es meist um die Hauptstadt Port-au-Prince, wo die Lage absolut ausser Kontrolle geraten ist. Die Gewalt konzentriert sich also hauptsächlich auf diesen Teil des Landes. Im Helvetas-Büro in Jacmel im Süden haben mir Kolleginnen und Kollegen über ihr Leben in der Hauptstadt berichtet. Von dort wurden allein im letzten Monat über 60'000 Menschen aufgrund von Gewalt vertrieben. Insgesamt ist von über einer Million Vertriebener die Rede. Für die Verbliebenen ist es heikel und gefährlich. Sie müssen einkaufen und bringen sogar Kinder in die teils noch geöffneten Schulen.
Hat sich die Sicherheitslage in Port-au-Prince trotz des Einsatzes von kenianischen Polizisten nicht verändert?
Von keiner Verbesserung der Sicherheitslage zu sprechen, wäre wohl falsch. Aber von einer Befriedung der Hauptstadt ist man weit entfernt. Die bisher tausend in die Hauptstadt entsandten Soldaten aus Kenia sind massiv unterbewaffnet und können den Banden nicht standhalten. Diesbezüglich hat sich die Lage bis heute kaum verändert.
Und wie ist die Lage ausserhalb der Hauptstadt?
Im Süden des Landes, in Jacmel, rund 80 Kilometer entfernt von Port-au-Prince, ist es relativ ruhig. Es sind sämtliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden. Reisen werden sorgfältig geplant. Doch man kann sich hier gut bewegen. Helvetas konnte in all den Monaten ihre Projekte sehr gut umsetzen, trotz zunehmender Gewalt in der Hauptstadt. Spürbar ist, das sämtliche Strassen von und zur Hauptstadt gesperrt sind respektive von Banden kontrolliert werden. Entsprechend gibt es im Süden eine gewisse Knappheit an Produkten.
Die Menschen haben keine Rücklagen, um Notsituationen zu bewältigen.
Sie sind vor Ort, um abzuklären, welche Hilfe Helvetas in Haiti noch leisten kann. Was ist ihr Fazit?
Es lohnt sich auf jeden Fall in Haiti engagiert zu bleiben. Die Hälfte der Bevölkerung ist unterernährt. Trinkwasser ist knapp. Die Menschen haben keine Rücklagen, um Notsituationen zu bewältigen. Helvetas ist deshalb in verschiedenen Projekten im Land dran, beispielsweise Jugendlichen einen Zugang zur Berufsbildung zu garantieren, damit sie eine Perspektive haben.
Dazu kommt Präventionsarbeit, etwa mit Blick auf die vielen Naturkatastrophen wie Wirbelstürme, Erdbeben und Überschwemmungen. Ein wichtiges Thema ist auch der Zugang zu Wasser. Wir schützen zusammen mit den Gemeinden Wasserquellen, um den Zugang zu sauberem Wasser sicherzustellen.
Das Gespräch führte Christof Forster.