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Geteilte Welt in Haiti So läuft das Leben rund um den Banden-Hotspot Port-au-Prince

Haiti befindet sich im Ausnahmezustand. Noch immer terrorisieren bewaffnete Banden die Bevölkerung. Auch eine Hilfsmission mit kenianischen Polizeikräften konnte die Lage in der Hauptstadt nicht unter Kontrolle bringen. Im übrigen Teil des Landes sei weiterhin Hilfsarbeit möglich, berichtet Esther Belliger vom Hilfswerk Helvetas in der Küstenstadt Jacmel im Süden des Landes.

Esther Belliger

Helvetas-Koordinatorin für Lateinamerika und Karibik

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Esther Belliger ist Koordinatorin von Helvetas für Lateinamerika und die Karibik. Helvetas ist eine unabhängige Schweizer Organisation für Entwicklungszusammenarbeit.

SRF News: Wie erleben Sie die Lage vor Ort?

Esther Belliger: Wenn man in der Schweiz über Haiti spricht, geht es meist um die Hauptstadt Port-au-Prince, wo die Lage absolut ausser Kontrolle geraten ist. Die Gewalt konzentriert sich also hauptsächlich auf diesen Teil des Landes. Im Helvetas-Büro in Jacmel im Süden haben mir Kolleginnen und Kollegen über ihr Leben in der Hauptstadt berichtet. Von dort wurden allein im letzten Monat über 60'000 Menschen aufgrund von Gewalt vertrieben. Insgesamt ist von über einer Million Vertriebener die Rede. Für die Verbliebenen ist es heikel und gefährlich. Sie müssen einkaufen und bringen sogar Kinder in die teils noch geöffneten Schulen.

Unicef: Immer mehr Minderjährige in den Banden

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Seit fast vier Jahren breitet sich in Haiti die Bandengewalt aus. Hunderttausende leben in Angst und Schrecken. Verheerende Armut und Verzweiflung treiben im Karibikstaat nach UNO-Angaben immer mehr Kinder und Jugendliche in die Arme bewaffneter Banden.

Schon Achtjährige würden in der Hauptstadt Port-au-Prince rekrutiert, die Hälfte der Bandenmitglieder dürften inzwischen Minderjährige sein, berichtete die Vertreterin des UNO-Kinderhilfswerks Unicef in Haiti, Geetanjali Narayan, Ende Februar in Genf.

Aus Protest gegen die grassierende Gewalt gibt es in Port-au-Prince immer wieder Demonstrationen gegen die mangelhafte Sicherheitslage. Am 23. Februar 2025 wurden in der Hauptstadt mehrere beschuldigte Bandenmitglieder während eines Demonstrationstages gelyncht. Die Bandengewalt hat in Haiti allein 2024 über 5600 Tote gefordert.

Hat sich die Sicherheitslage in Port-au-Prince trotz des Einsatzes von kenianischen Polizisten nicht verändert?

Von keiner Verbesserung der Sicherheitslage zu sprechen, wäre wohl falsch. Aber von einer Befriedung der Hauptstadt ist man weit entfernt. Die bisher tausend in die Hauptstadt entsandten Soldaten aus Kenia sind massiv unterbewaffnet und können den Banden nicht standhalten. Diesbezüglich hat sich die Lage bis heute kaum verändert.

Proteste in Port-au-Prince.
Legende: Proteste gegen die anhaltend prekäre Sicherheitslage in der Hauptstadt Port-au-Prince am 19. März 2025. Imago/Zum Press Wire/Patrice Noel

Und wie ist die Lage ausserhalb der Hauptstadt?

Im Süden des Landes, in Jacmel, rund 80 Kilometer entfernt von Port-au-Prince, ist es relativ ruhig. Es sind sämtliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden. Reisen werden sorgfältig geplant. Doch man kann sich hier gut bewegen. Helvetas konnte in all den Monaten ihre Projekte sehr gut umsetzen, trotz zunehmender Gewalt in der Hauptstadt. Spürbar ist, das sämtliche Strassen von und zur Hauptstadt gesperrt sind respektive von Banden kontrolliert werden. Entsprechend gibt es im Süden eine gewisse Knappheit an Produkten.

Die Menschen haben keine Rücklagen, um Notsituationen zu bewältigen.

Sie sind vor Ort, um abzuklären, welche Hilfe Helvetas in Haiti noch leisten kann. Was ist ihr Fazit?

Es lohnt sich auf jeden Fall in Haiti engagiert zu bleiben. Die Hälfte der Bevölkerung ist unterernährt. Trinkwasser ist knapp. Die Menschen haben keine Rücklagen, um Notsituationen zu bewältigen. Helvetas ist deshalb in verschiedenen Projekten im Land dran, beispielsweise Jugendlichen einen Zugang zur Berufsbildung zu garantieren, damit sie eine Perspektive haben.

Markt in Jacmel
Legende: Lokaler Markt in der historischen Altstadt der Küstenstadt Jacmel am 1. Januar 2025. Imago/VWPics/Sergi Reboredo

Dazu kommt Präventionsarbeit, etwa mit Blick auf die vielen Naturkatastrophen wie Wirbelstürme, Erdbeben und Überschwemmungen. Ein wichtiges Thema ist auch der Zugang zu Wasser. Wir schützen zusammen mit den Gemeinden Wasserquellen, um den Zugang zu sauberem Wasser sicherzustellen.

Das Gespräch führte Christof Forster.

SRF 4 News aktuell, 25.03.2025, 07:11 Uhr ; 

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