Die Gewalt in Burma – auch Myanmar genannt – eskaliert weiter. Dieses Wochenende war das blutigste seit dem Militärputsch. Ein Massenmord an der eigenen Bevölkerung sei das, sagt der UNO-Sondergesandte für Menschenrechte in Burma. «NZZ»-Korrespondent Manfred Rist in Singapur erklärt die Härte der Militärführung.
SRF News: Manfred Rist, wieso geht die burmesische Armee immer gewalttätiger gegen die eigene Bevölkerung vor?
Manfred Rist: Ich denke, dass sich die burmesische Armee verschätzt hat. Sie hat den Widerstand unterschätzt und sie hat sich auf einen Weg der Gewalt begeben, aus dem es aus ihrer Sicht keinen Rückweg gibt.
Das heisst: Wenn die Militärs jetzt zurückkrebsen würden, dann würde das wohl als Schwäche ausgelegt. Sie haben sich auf eine verhängnisvolle Eskalation fixiert und kommen aus dieser Sackgasse nicht mehr heraus. Die einzige Antwort, die Sie haben, ist Gewalt. Das bedeutet, dass es jeden Tag neue Tote gibt.
Gezielte Kopfschüsse auf Zivilisten. Kinder, die getötet werden. Trotzdem gehen die Menschen weiterhin auf die Strassen. Wie erklärt sich diese Furchtlosigkeit?
Das ist sicher auch eine Trotzreaktion. Man will zeigen, dass man sich nicht unterkriegen lässt. Diese mutige Reaktion hängt bestimmt mit der grossen Solidarität unter der Bevölkerung zusammen. Man macht sich gegenseitig Mut, man feiert die Gefallenen als Helden.
Man muss der Armee eine gesichtswahrende Brücke bauen.
Der Widerstand zieht sich quer durchs Land und wird als letzte Chance wahrgenommen. Wenn es jetzt nicht gelingt, diese Militärregierung zu stürzen, dann ist man vermutlich auf Jahre wieder unterjocht. Wir dürfen nicht vergessen, es ist jetzt das vierte Mal, dass die Armee auf die eigene Bevölkerung schiesst. Und immer sind es zivile Opfer.
Burmas Armee hat am Wochenende auch Luftangriffe in den Grenzregionen zu Thailand geflogen, wohin 3000 Menschen geflohen sein sollen. Warum?
In den Grenzregionen leben ethnische Minderheiten, die sich zum Teil seit Jahren im Kampf gegen die Armee befinden. Das heisst, die Armee befindet sich im Moment in einem Zweifrontenkrieg gegen Demonstrationen gegen die Minderheiten. Es gibt Beobachter, die davon ausgehen, dass die Kapazitäten der Militärs strapaziert sind, dass sie an ihre Grenzen kommen.
Die UNO ist nicht in der Lage, einschneidende Sanktionen zu verhängen, weil sich Russland und China dagegen stellen. Welche Interessen verfolgen diese Länder?
China hat kein Interesse, dass Burma im Chaos versinkt. Es betrachtet es als Hinterhof und ist an stabilen Verhältnissen interessiert. Ob dort nun eine demokratische oder eine Militärregierung herrscht, das ist Peking egal. Die Interessenlage von Russland ist bedeutend weniger klar. Aber Russland sieht nun wahrscheinlich eine Möglichkeit, in Burma stärker Fuss zu fassen.
Seit Anfang Februar sind über 500 Zivilisten getötet worden. Sehen Sie einen Ausweg aus dieser Gewalt?
Die meisten Beobachter gehen davon aus, dass nur ein Land die Machthaber beeinflussen kann: China. Ob sie das tun werden, ist nicht klar. Ob sie Erfolg haben werden, ist ebenso unsicher. Eine Hoffnung ist, dass es wegen der verfahrenen Situation innerhalb der Militärführung zu einem Gegenputsch kommt, der gemässigtere Offiziere an die Macht bringt. Aber das ist eher unwahrscheinlich.
Eine Zukunft ganz ohne Militär in Burma ist kaum vorstellbar.
Eine Zukunft in Burma ganz ohne Militär ist zudem kaum vorstellbar. Die Armee hat dieses Land 70 Jahre lang geprägt. Die grosse Herausforderung besteht darin, dass man ihr eine gesichtswahrende Brücke bauen muss, damit sie aus dieser Gewaltspirale herausfindet.
Das Gespräch führte Samuel Wyss.