Im Ostkongo spitzt sich die Lage dramatisch zu: Dort kämpft die von Ruanda unterstützte Rebellenmiliz M23 gegen die kongolesische Regierungsarmee – und hat jetzt nach eigenen Angaben die strategisch wichtige Grenzstadt Goma erobert. Hunderttausende Menschen sind auf der Flucht. Die diplomatischen Beziehungen zwischen Kongo und Ruanda wurden abgebrochen. Der UNO-Sicherheitsrat ist gestern zusammengekommen – die Angst geht um, der Konflikt könnte eskalieren und sich auf die gesamte Region ausbreiten. Afrika-Korrespondentin Sarah Fluck erläutert die wichtigsten Fragen.
Wird in Goma noch gekämpft?
Die Lage im Stadtzentrum ist unübersichtlich: Die M23-Rebellen haben gestern Abend und in der Nacht weite Teile der Stadt eingenommen, aber das Zentrum noch nicht vollständig. Heute Vormittag wurden nach einer kurzen Ruhephase erneut Schüsse im Zentrum und an der Grenze zu Ruanda gehört. Es gibt Berichte über einen Gefängnisausbruch, Plünderungen und kongolesische Soldaten, die ihre Waffen an die UNO abgeben.
Wie ist die humanitäre Lage in der Stadt?
In der Millionenstadt gibt es seit fünf Tagen weder Strom noch Wasser, und die Spitäler sind überfüllt mit Kriegsverletzten. Es wurde ein dringender Aufruf zur Blutspende gestartet. Gestern flohen Tausende mit ihrem Hab und Gut in die Stadt – eine endlose Schlange. Viele fliehen bereits zum dritten oder vierten Mal in wenigen Monaten, von einem Dorf ins nächste, bis auch dieses der M23 in die Hände fällt. Rund um Goma wurden seit Jahresbeginn über 400'000 Menschen vertrieben. Ohne schnelle Hilfe droht die Lage weiter zu eskalieren.
Die M23 wird von Ruanda unterstützt. Was will Ruanda im Ostkongo?
Ruanda leugnet offiziell die Unterstützung der M23, doch Berichte der UNO und der USA sowie Zeugenaussagen belegen das Gegenteil. Vordergründig will Ruanda die Tutsi-Minderheit schützen, da viele Hutu-Verantwortliche nach dem Völkermord 1994 in den Kongo flohen und nie zur Rechenschaft gezogen wurden. Hintergründig spielen wirtschaftliche Interessen wie die Kontrolle über Rohstoffe eine Rolle. Doch der Konflikt wird nicht nur durch Rohstoffgier angeheizt – politische, soziale und historische Gründe sind ebenso relevant.
Ruanda gibt der kongolesischen Regierung die Schuld an der Eskalation. Hätte Kongo diese verhindern können?
Der Konflikt dauert seit über 30 Jahren an. Die Regierung und das Militär sind schwach, und Präsident Tshisekedi hat es nicht geschafft, wichtige Friedensvereinbarungen umzusetzen. Die Eskalation zeigt, dass grundlegende Probleme wie Misstrauen und unklare Machtverhältnisse ungelöst geblieben sind. Ein früheres und entschlosseneres Handeln hätte die Eskalation vielleicht verzögern können, aber wohl kaum verhindern.
Droht die Ausweitung des Kriegs?
Ja, das ist durchaus möglich. Viele Akteure sind beteiligt: Ruanda und Uganda unterstützen die M23, während Truppen der südafrikanischen Staatengemeinschaft, Burundi und Kenia die Regierung in Kongo-Kinshasa unterstützen. Kenias Präsident hat für die nächsten 48 Stunden einen ausserordentlichen Gipfel der Ostafrikanischen Staatengemeinschaft (EAC) einberufen, bei dem beide Kriegsparteien – Kongo und Ruanda – zusammenkommen sollen. Die nächsten Tage könnten entscheidend sein, um eine weitere Eskalation zu verhindern.
Klar ist: Die Menschen im Ostkongo haben Schreckliches erlebt, sei es durch das kongolesische Militär, die zahllosen Milizen oder die M23. Ihr Wunsch ist klar: Frieden und Sicherheit – unabhängig davon, wer ihnen dies bringt.