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Abzug der Truppen Ende des Blauhelmeinsatzes: Was bleibt im Ostkongo zurück?

25 Jahre lang prägten die UNO-Blauhelmsoldaten Kongo-Kinshasa. Ein Besuch in der Provinz Südkivu.

Rund 15 Kilometer von der Provinzhauptstadt Bukavu entfernt liegt die ehemalige UNO-Basis Msara – idyllisch auf einem Hügel am Kivusee. Was einst ein Dreh- und Angelpunkt der Blauhelme war, wirkt heute verlassen: Von den Wachtürmen blättert die himmelblaue Farbe ab, die einst das Markenzeichen der UNO-Truppen war. Neben der Basis steht ein Container aus Beton und Stahl, auf dem in Schwarz «UN» steht. Darin sitzt die Verkäuferin Odette Kazibi.

«Als die ersten Blauhelmsoldaten hier ankamen, habe ich Bananen geerntet», erzählt Kazibi. «Ich brachte sie in Körben zur Strasse – und die Soldaten kauften alles auf. Das hat mein Leben verändert.» Die Einnahmen aus dem Verkauf ermöglichten ihr, einen kleinen Laden zu eröffnen. Die UNO unterstützte sie mit einem Container, Strom und reparierten Strassen.

Frau in buntem Gewand sitzt vor Regalen mit Waren.
Legende: Odette Kazibi, Verkäuferin bei der ehemaligen Monusco-Basis Msara in Südkivu, erinnert sich: «Mit den Blauhelmen war das Leben einfacher. Wir hatten genug zu essen und konnten unsere Kinder einkleiden.» Heute kämpft sie mit den Folgen des Abzugs der UNO-Soldaten. SRF/Sarah Fluck

Auch Joseph Zahinda, der einst als Wächter für die UNO arbeitete, blickt mit guten Gefühlen auf die Zeit mit den Blauhelmen zurück. Besonders die chinesischen Soldaten beeindruckten ihn: «Mein Sohn konnte durch sie Chinesisch lernen und in China studieren», erzählt er. Doch heute haben beide kein Einkommen mehr. «Seit ihrem Abzug leben wir in Armut», sagt er. «Auch Banditen und Diebe machen uns nun zu schaffen.»

Mann in schwarzem Hemd vor blauer Wand.
Legende: Joseph Zahinda, ehemaliger Wächter bei der Monusco-Basis Msara, erzählt: «Wir lebten mit der Monusco und deren Soldaten wie in einer Gemeinschaft, freundschaftlich und harmonisch.» Heute sorgt er sich um die Sicherheit in der Region. SRF/Sarah Fluck

Die Monusco, die UNO-Mission in Kongo-Kinshasa, wurde 1999 mit dem Mandat entsandt, die Zivilbevölkerung vor bewaffneten Gruppen zu schützen. Besonders im Ostkongo, einer Region, die von Dutzenden Rebellengruppen heimgesucht wird, war sie gefordert. Während sie Polizei und Militär trainierte und Rebellenkämpfer demobilisierte, stiess sie bei militärischen Interventionen oft an ihre Grenzen.

Die UNO-Misson Monusco

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UNO-Soldat blickt aus einem gepanzerten Fahrzeug der UNO-Stabilisierungsmission MONUSCO.
Legende: Blauhelm-Fahrzeug im Einsatz im Ostkongo Monusco ist eine der grössten UNO-Friedensmissionen weltweit. Reuters/Paul Lorgerie

Die UNO-Mission Monusco (Mission de l'Organisation des Nations Unies pour la Stabilisation en République Démocratique du Congo) wurde 1999 gegründet, um die Zivilbevölkerung von Kongo-Kinshasa zu schützen und den Frieden nach jahrelangen Konflikten zu fördern. Ursprünglich als Monuc bekannt, wurde die Mission 2010 in Monusco umbenannt. Ihr Mandat umfasste den Schutz vor bewaffneten Gruppen, die Unterstützung bei der Wiederherstellung staatlicher Strukturen sowie die Stabilisierung konfliktgeprägter Regionen. Im Frühjahr letzten Jahres begann der schrittweise Abzug der Blauhelme.

Monusco zählt zu den grössten Friedensmissionen der Vereinten Nationen, mit bis zu 16'000 Soldaten aus Ländern wie Indien, Bangladesch, Uruguay und China. Das jährliche Budget der Mission beträgt über eine Milliarde US-Dollar. Die Blauhelme waren besonders im Ostkongo präsent, einer Region mit hoher Rebellenaktivität. Sie unterstützten die Ausbildung von Polizei und Armee, halfen bei der Demobilisierung von Kämpfern und verbesserten lokale Infrastruktur wie Strassen und Elektrizität.


Strenge Einsatzregeln und unzureichende Truppenstärke führten dazu, dass die Blauhelme bei Massakern oft tatenlos zusehen mussten. Das Vertrauen der Bevölkerung schwand. Immer wieder kam es zu Protesten gegen die Mission. «Die Blauhelme sind praktisch nutzlos geworden», kritisiert der Analyst Paul Kamabu. «Alles, was sie tun können, ist präsent zu sein und Zeugen dessen zu sein, was passiert. Aber aktiv zu handeln, ist heute nahezu unmöglich.»

Menschen versammeln sich nachts um brennendes UN-Fahrzeug.
Legende: Der Unmut der Bevölkerung über die Blauhelme hat sich in den letzten Jahren im Ostkongo immer wieder in gewaltsamen Protesten entladen. Viele werfen den UNO-Truppen Untätigkeit vor. Keystone/AP Photo/Moses Sawasawa

Der erste Abzug der Blauhelme aus Kongo-Kinshasa begann im Dezember 2023, gefordert von der kongolesischen Regierung.

Mann im Anzug am Rednerpult der Vereinten Nationen.
Legende: Der kongolesische Präsident Félix Tshisekedi machte am 20. September 2023 vor der UNO-Generalversammlung eine klare Ansage: Der Blauhelmeinsatz müsse schneller beendet werden. «Die Beschleunigung des Rückzugs der Monusco wird dringend notwendig, um die Spannungen zwischen ihr und unseren Bürgern zu entschärfen.» Keystone/AP Photo/Frank Franklin II

Doch gleichzeitig verschärfte sich die Sicherheitslage im Ostkongo. Die M23-Rebellen eroberten immer mehr Gebiete. So beschloss der UNO-Sicherheitsrat im Dezember, das Mandat der Mission um ein weiteres Jahr zu verlängern – allerdings mit reduzierter Truppenstärke.

Die M23-Miliz

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Drei bewaffnete Männer in Tarnanzügen stehen nebeneinander.
Legende: M23-Rebellen in Kibumba, im Osten Kongos. (23.12.2022) Keystone/AP Photo/Moses Sawasawa

Die M23 ist eine bewaffnete Rebellengruppe. Sie wurde 2012 von ehemaligen Soldaten gegründet, die der kongolesischen Armee angehörten. Der Name M23 bezieht sich auf ein Friedensabkommen vom 23. März 2009, dessen Umsetzung sie als unzureichend kritisierten. Die Mitglieder der M23 stammen grösstenteils aus der Tutsi-Gemeinschaft. Die Geschichte der Tutsi in der Region ist geprägt von Konflikten, Vertreibungen und Diskriminierung, was die M23 als Rechtfertigung für ihren bewaffneten Kampf anführt.

Laut den Vereinten Nationen und dem US-Aussenministerium wird M23 von Ruanda und Uganda unterstützt. UNO-Experten werfen Ruanda vor, 3000 bis 4000 Soldaten an der Seite von M23 kämpfen zu lassen. Beide Länder bestreiten diese Vorwürfe.

Im November 2012 erlangte die M23 internationale Aufmerksamkeit, als sie die Stadt Goma einnahm, ein wichtiges wirtschaftliches und logistisches Zentrum im Ostkongo. Nach internationalem Druck zog sie sich zurück und erklärte 2013 ihren Aufstand für beendet. Seit 2021 ist die M23 jedoch wieder erstarkt und führt Offensiven gegen die kongolesische Armee. Dabei hat sie erneut Gebiete im Ostkongo erobert, was zu massiven Vertreibungen und einer Verschärfung der humanitären Krise geführt hat.

In Bukavu sieht Paulin Bishakabalya, ein Vertreter der Zivilgesellschaft, im Abzug der ersten UNO-Soldaten aus Südkivu nicht nur Nachteile: «Früher versteckte sich die Regierung hinter den UNO-Truppen», sagt er. «Jetzt muss sie Verantwortung übernehmen und aktiv werden.» Tatsächlich reist der Gouverneur der Provinz heute in gefährliche Gebiete, um die Lage vor Ort zu verfolgen – etwas, das früher undenkbar war.

Erben des Abzugs

Die ehemalige UNO-Basis Msara steht heute unter der Kontrolle kongolesischer Soldaten. Öffentlich möchten sie sich nicht äussern, bieten jedoch eine Führung durch das Gelände an.

Hinter vorgehaltener Hand kritisieren sie die mangelnde Unterstützung durch die Regierung. Zwar hätten sie einige UNO-Ausrüstung übernehmen können, darunter drei Jeeps, doch bis heute habe die Regierung keinen Treibstoff bereitgestellt. Diese Situation symbolisiert die Herausforderungen, die der Abzug der Blauhelme hinterlassen hat.

Echo der Zeit, 13.01.2025, 18 Uhr

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