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Gewalt im Kongo Zwei Frauen, zwei Wege, ein Ziel: Frieden im Ostkongo

Fifi Bauma und Queen Mwanze sind Kämpferinnen, die eine mit Waffen, die andere mit Worten. In einer Region, die geprägt ist von Krieg und Chaos. Ihr Schlachtfeld ist nicht das gleiche, doch sie verfolgen das gleiche Ziel. Das Porträt zweier Frauen in einer zerrissenen Welt.

Das erste Morgenlicht taucht die grünen Hügel über dem Dorf Bweremana nahe der ostkongolesischen Stadt Goma in weiches Licht. Fifi Bauma zieht die abgenutzten Ärmel ihrer Tarnjacke straff hoch. Ihr linker Arm zeigt eine geschwollene, blau unterlaufene Beule – eine sichtbare Narbe des Kriegs, den sie Tag für Tag führt.

Baumas Blick ist klar und unerschütterlich. «Der Feind war nah, wir mussten reagieren», sagt die 24-Jährige knapp. Dann schildert sie die heftigen Kämpfe zwischen ihrer Miliz, der Wazalendo, und den M23-Rebellen, die derzeit einen Aufstand in der Region führen.

Routine und Anspannung im Alltag

Im Wazalendo-Lager mischen sich der beissende Rauch eines Kochfeuers und das Klirren von Metall in die Geräusche gedämpfter Gespräche. Es herrscht ein merkwürdiger Rhythmus aus Routine und Anspannung. Junge Männer spielen in den Pausen Würfelspiele, ihre Gewehre liegen griffbereit neben ihnen. Frauen wie Fifi Bauma kümmern sich um alltägliche Aufgaben wie das Kochen oder das Reinigen der Uniformen.

Leben im Wazalendo-Lager

Jeden Morgen beginnt der Tag mit einer Parade, die Kämpferinnen und Kämpfer marschieren im Gleichschritt, singen Lieder über Mut bis in den Tod. In der Ferne sind immer wieder Schüsse von der Front zu hören – ein ständiges Mahnmal der Nähe des Krieges.

Strassenszene mit Marktständen und vorbeifahrenden Motorrädern.
Legende: Goma: Eine Stadt am Ufer des Kivusees und am Fusse des aktiven Nyiragongo-Vulkans. Die Region ist seit Jahren von gewaltvollen Konflikten betroffen. SRF/Sarah Fluck

Bauma gehört zu den «Wazalendo» – Kiswahili für «Patrioten». Diese lokale Selbstverteidigungsgruppe sieht ihre Mission darin, ihre Gemeinschaft vor den Angriffen der M23-Rebellen zu schützen. Die M23, ursprünglich 2012 von abtrünnigen Soldaten der kongolesischen Armee gegründet, erstarkte Ende 2021 erneut.

Die M23-Miliz

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Drei bewaffnete Männer in Tarnanzügen stehen nebeneinander.
Legende: M23-Rebellen in Kibumba, im Osten Kongos. (23.12.2022) Keystone/AP Photo/Moses Sawasawa

Die M23 ist eine bewaffnete Rebellengruppe. Sie wurde 2012 von ehemaligen Soldaten gegründet, die der kongolesischen Armee angehörten. Der Name «M23» bezieht sich auf ein Friedensabkommen vom 23. März 2009, dessen Umsetzung sie als unzureichend kritisierten.

Die Mitglieder der M23 stammen grösstenteils aus der Tutsi-Gemeinschaft. Die Geschichte der Tutsi in der Region ist geprägt von Konflikten, Vertreibungen und Diskriminierung, was die M23 als Rechtfertigung für ihren bewaffneten Kampf anführt.

Laut den Vereinten Nationen und dem US-Aussenministerium wird M23 von Ruanda und Uganda unterstützt. UNO-Experten werfen Ruanda vor, 3000 bis 4000 Soldaten an der Seite von M23 kämpfen zu lassen. Beide Länder bestreiten diese Vorwürfe.

Im November 2012 erlangte die M23 internationale Aufmerksamkeit, als sie die Stadt Goma einnahm, ein wichtiges wirtschaftliches und logistisches Zentrum im Ostkongo. Nach internationalem Druck zog sie sich zurück und erklärte 2013 ihren Aufstand für beendet.

Seit 2021 ist die M23 jedoch wieder erstarkt und führt Offensiven gegen die kongolesische Armee. Dabei hat sie erneut Gebiete im Ostkongo erobert, was zu massiven Vertreibungen und einer Verschärfung der humanitären Krise geführt hat.

Die Auswirkungen sind verheerend. Der M23-Aufstand hat neue Gewalt und massive Vertreibungen ausgelöst. Millionen von Menschen leben in provisorischen Unterkünften aus Plastikplanen und dünnem Holz in der Provinz Nord-Kivu. Rund um die Provinzhauptstadt Goma ziehen sich riesige Flüchtlingslager hin – weisse Zeltstädte, die sich kilometerweit erstrecken.

Verschiedene bunte Stoffe auf Hütten mit bewölktem Himmel.
Legende: Prekäre Zustände: Tausende Binnenvertriebene befinden sich in Lagern rund um Goma. SRF/Sarah Fluck

Im November 2022 wandte sich Präsident Félix Tshisekedi in einer Fernsehansprache an die Jugend im Ostkongo: «Ich fordere sie auf, Bürgerwehren zu bilden, um unsere Streitkräfte zu unterstützen, zu stärken und zu begleiten.» In der Folge schlossen Milizen mit der Armee Nichtangriffspakte, um gemeinsam gegen die M23 zu kämpfen. Für viele war der bewaffnete Widerstand die letzte Option.

Die kongolesische Regierung, überfordert und von Korruption geplagt, legalisierte lokale Milizen wie die Wazalendo, um der M23 etwas entgegenzusetzen. Doch diese Gruppen agieren oft eigenmächtig und werden für Menschen­rechts­verletzungen verantwortlich gemacht.

Ein Leben, geprägt vom Krieg

Die Wazalendo-Koalition vereint alte Kämpfer und neu gegründete Einheiten in einer Region, die von Dutzenden bewaffneten Gruppen kontrolliert wird. Die Koalition kämpft oft an vorderster Front, während die kongolesische Armee ihnen folgt. Hinter vorgehaltener Hand bezeichnen Experten sie als «Kanonenfutter».

Mann in Natur mit Speer, Pflanzen als Kleidung.
Legende: Ein Wazalendo-Rebell mit improvisierter Ausrüstung – viele Kämpfer verfügen nur über alte oder selbst gebaute Waffen. SRF/Sarah Fluck

Auch viele Frauen schliessen sich der Wazalendo an. Ihre Gründe sind vielfältig: Manche suchen Schutz. Andere hoffen, der Armut zu entkommen oder Einfluss zu gewinnen. Viele sehen schlicht keine andere Wahl.

Für Fifi Bauma war der Krieg unausweichlich. Sie war noch ein Kind, als die M23-Rebellen ihr Dorf im Ostkongo überfallen haben. Häuser brannten, Felder wurden zerstört und ihre Familie floh in ein Flüchtlingslager. Hunger und Perspektivlosigkeit prägten ihren Alltag. «Für die Schule fehlte das Geld. Essen zu finden war schwierig», erinnert sie sich.

Zwei sitzende Frauen, eine in Zivilkleidung, eine in Uniform.
Legende: Mama Christine Namunganga, die Mutter von Fifi Bauma, sagt: «Ich bin sehr stolz und glücklich, dass mein Kind unser Land beschützt. So können auch wir Frieden haben und eines Tages wird vielleicht unser Land gerettet.» SRF/Sarah Fluck

Als dann 2022 Kämpfer in Tarnkleidung ins Flüchtlingslager kamen, änderte sich Fifi Baumas Leben. Die Kämpfer sprachen von Widerstand und Patriotismus. «Unser Land wird angegriffen. Wir dürfen nicht schweigen», sagten sie. Für Bauma wurde das der Wendepunkt. Der Beitritt zu den Wazalendo war für sie die Chance, etwas zu verändern.

Siehst du den Feind zuerst, tötest du ihn. Sieht er dich zuerst, tötet er dich.
Autor: Fifi Bauma Wazalendo-Kämpferin

Die Ausbildung war hart und kurz. Nach wenigen Wochen stand Fifi Bauma bereits an der Front. Am 3. Februar 2023 erlebte sie ihren ersten Einsatz. «Die Feinde waren ganz nah. Wir mussten unsere Arbeit tun», sagt sie ruhig. Seitdem begleitet das Töten ihren Alltag: «Das Töten wird normal: Siehst du den Feind zuerst, tötest du ihn. Sieht er dich zuerst, tötet er dich.» Bauma spricht mit einer gefassten Stimme, doch in ihrem Blick spiegelt sich der Krieg, der sich tief in ihr Leben eingebrannt hat.

Protest gegen die Gewalt der M23

Unweit davon, auf dem Amani-Musikfestival in Goma, bahnt sich Queen Mwanze ihren Weg durch die Menge. Inmitten der ausgelassenen Stimmung hält sie ein Plakat hoch, das an das jüngste M23-Massaker erinnert. Eine stille Anklage, die zwischen Afro-Beats und französischem Rap nachhallt.

Gruppe von Männern tanzt fröhlich vor Amani 2024 Bühne.
Legende: Das Amani-Festival, dessen Name auf Swahili «Frieden» bedeutet, bringt die Menschen mit Musik, Tanz und Kultur zusammen. SRF/Sarah Fluck

Mwanzes Rastazöpfe, geschmückt mit bunten Perlen, schimmern im Sonnenlicht. An ihren Handgelenken klirren dutzende Holzarmbänder – Geschenke von Freundinnen, die in den letzten Jahren Ostafrika bereist haben.

Frauen halten Schilder mit Botschaften über Liebe.
Legende: Aktivistinnen von «Goma Actif» halten beim Amani-Festival Plakate mit Friedensbotschaften hoch. Später greift die Polizei ein und verbietet den Protest. SRF/Sarah Fluck

«Wir können Frieden nicht mit Waffen schaffen», sagt die 26-Jährige. Für Mwanze ist Protest der einzige Weg, um der Spirale der Gewalt zu entkommen. Doch auch für sie begann alles mit Gewalt.

2016 werden zwei ihrer Onkel von Banditen entführt und getötet. «Es war, als ob niemand sich dafür interessierte», sagt sie. Ihre Wut trieb sie an, Gleichgesinnte zu suchen – und sie fand die Bewegung Lucha. Die Abkürzung steht für Lutte pour le Changement (Kampf für den Wandel) und ist eine friedliche Protestbewegung, die sich in Kongo für Demokratie und Menschenrechte einsetzt.

In diesem Land Aktivistin zu sein, heisst, mit dem Sarg unter dem Bett zu schlafen – weil der Tod jederzeit kommen kann.
Autor: Queen Mwanze Aktivistin bei Lucha

Als Mwanze zum ersten Mal im Quartier von der Bewegung hört, sagen ihr alle, das seien Rebellen. Trotz der Gerüchte suchte sie die Gruppe an einem Sonntag nach dem Gottesdienst auf. Statt Rebellen fand sie Jugendliche, die hitzig darüber diskutierten, was sich im Ostkongo ändern müsse. Die Gruppe kämpft mit friedlichen Protesten für Demokratie und Menschenrechte und leistet mit «Goma Actif» direkte Hilfe, indem sie Bedürftige mit Nahrung, Kleidung und Medizin versorgt. Noch beim ersten Treffen wird Mwanze Mitglied der Bewegung.

Aktivistinnen und Aktivisten helfen im Lager Kanyaruchinya

Die kongolesische Regierung geht hart gegen Aktivisten vor. Proteste werden oft mit Gewalt aufgelöst, Verhaftungen sind an der Tagesordnung.

Bereits 2016 an ihrer ersten Demonstration – einem Protest gegen fehlerhafte Wählerkarten – erfuhr sie, welchen Preis man für Aktivismus im Ostkongo zahlt. Fünf Tage verbringt sie in Haft. «Es gab keine Toiletten. Die Frauen mussten die ganze Nacht auf dem Boden sitzen», erzählt sie von der Haft. «In diesem Land Aktivistin zu sein, heisst, mit dem Sarg unter dem Bett zu schlafen – weil der Tod jederzeit kommen kann.»

Zwischen Repression und Hoffnung

Trotz der Bedrohungen lässt sich Queen nicht einschüchtern. Sie organisiert Demonstrationen, besucht Flüchtlingslager und hilft, wo sie kann. Oft bringt sie Kleidung ihrer vierjährigen Tochter Malaika mit und teilt mit ihren Kolleginnen und Kollegen Uji aus – einen Brei, der in der Kälte wärmt.

«Ich will, dass Malaika in einem Land aufwächst, in dem sie keine Angst haben muss», sagt Mwanze. Die allgegenwärtige Gewalt in ihrer Heimat erschüttert sie: «Kinder haben sich an das Geräusch von Schüssen gewöhnt.»

Zwei Frauen stehen auf einer Strasse.
Legende: Mama Kahindo Kouiravousa, die Mutter von Queen Mwanze, erinnert sich: «Ich war so wütend. Ich habe Queen gesagt, dass ich nicht will, dass sie mit Lucha kämpft. Überhaupt nicht. Aber sie hat nicht auf mich gehört.» SRF/Sarah Fluck

Für Queen Mwanze ist Aktivismus mehr als ein Protest. Es ist ein Versprechen: an ihre Tochter, ihre Gemeinschaft und sich selbst, dass der Kongo eines Tages Frieden finden wird. «Mein Ziel ist ein Kongo, in dem ich mich frei bewegen kann und der Polizei vertrauen kann. Es geht um die Zukunft aller Kongolesen.»

In den Wäldern von Nord-Kivu träumt auch Fifi Bauma davon, dass der Krieg endet: «Ich wünsche mir, dass es meinem Land gut geht. Dass der Frieden zurückkehrt.»

Zwei Frauen, ähnlich im Alter, bereit, ihr Leben zu geben – und doch grundverschieden. Queen Mwanze wählt Worte, Fifi Bauma die Waffen. Beide kämpfen sie für einen Ostkongo, der Frieden sucht. Ob sie ihn erleben werden, bleibt ungewiss. Doch sie haben gezeigt, dass der Wille zum Wandel stärker sein kann als die Gewalt.

International, 22.12.2024, 18:30 Uhr; flus;flal

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