Das erste Morgenlicht taucht die grünen Hügel über dem Dorf Bweremana nahe der ostkongolesischen Stadt Goma in weiches Licht. Fifi Bauma zieht die abgenutzten Ärmel ihrer Tarnjacke straff hoch. Ihr linker Arm zeigt eine geschwollene, blau unterlaufene Beule – eine sichtbare Narbe des Kriegs, den sie Tag für Tag führt.
Baumas Blick ist klar und unerschütterlich. «Der Feind war nah, wir mussten reagieren», sagt die 24-Jährige knapp. Dann schildert sie die heftigen Kämpfe zwischen ihrer Miliz, der Wazalendo, und den M23-Rebellen, die derzeit einen Aufstand in der Region führen.
Routine und Anspannung im Alltag
Im Wazalendo-Lager mischen sich der beissende Rauch eines Kochfeuers und das Klirren von Metall in die Geräusche gedämpfter Gespräche. Es herrscht ein merkwürdiger Rhythmus aus Routine und Anspannung. Junge Männer spielen in den Pausen Würfelspiele, ihre Gewehre liegen griffbereit neben ihnen. Frauen wie Fifi Bauma kümmern sich um alltägliche Aufgaben wie das Kochen oder das Reinigen der Uniformen.
Leben im Wazalendo-Lager
Jeden Morgen beginnt der Tag mit einer Parade, die Kämpferinnen und Kämpfer marschieren im Gleichschritt, singen Lieder über Mut bis in den Tod. In der Ferne sind immer wieder Schüsse von der Front zu hören – ein ständiges Mahnmal der Nähe des Krieges.
Bauma gehört zu den «Wazalendo» – Kiswahili für «Patrioten». Diese lokale Selbstverteidigungsgruppe sieht ihre Mission darin, ihre Gemeinschaft vor den Angriffen der M23-Rebellen zu schützen. Die M23, ursprünglich 2012 von abtrünnigen Soldaten der kongolesischen Armee gegründet, erstarkte Ende 2021 erneut.
Die Auswirkungen sind verheerend. Der M23-Aufstand hat neue Gewalt und massive Vertreibungen ausgelöst. Millionen von Menschen leben in provisorischen Unterkünften aus Plastikplanen und dünnem Holz in der Provinz Nord-Kivu. Rund um die Provinzhauptstadt Goma ziehen sich riesige Flüchtlingslager hin – weisse Zeltstädte, die sich kilometerweit erstrecken.
Im November 2022 wandte sich Präsident Félix Tshisekedi in einer Fernsehansprache an die Jugend im Ostkongo: «Ich fordere sie auf, Bürgerwehren zu bilden, um unsere Streitkräfte zu unterstützen, zu stärken und zu begleiten.» In der Folge schlossen Milizen mit der Armee Nichtangriffspakte, um gemeinsam gegen die M23 zu kämpfen. Für viele war der bewaffnete Widerstand die letzte Option.
Die kongolesische Regierung, überfordert und von Korruption geplagt, legalisierte lokale Milizen wie die Wazalendo, um der M23 etwas entgegenzusetzen. Doch diese Gruppen agieren oft eigenmächtig und werden für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht.
Ein Leben, geprägt vom Krieg
Die Wazalendo-Koalition vereint alte Kämpfer und neu gegründete Einheiten in einer Region, die von Dutzenden bewaffneten Gruppen kontrolliert wird. Die Koalition kämpft oft an vorderster Front, während die kongolesische Armee ihnen folgt. Hinter vorgehaltener Hand bezeichnen Experten sie als «Kanonenfutter».
Auch viele Frauen schliessen sich der Wazalendo an. Ihre Gründe sind vielfältig: Manche suchen Schutz. Andere hoffen, der Armut zu entkommen oder Einfluss zu gewinnen. Viele sehen schlicht keine andere Wahl.
Für Fifi Bauma war der Krieg unausweichlich. Sie war noch ein Kind, als die M23-Rebellen ihr Dorf im Ostkongo überfallen haben. Häuser brannten, Felder wurden zerstört und ihre Familie floh in ein Flüchtlingslager. Hunger und Perspektivlosigkeit prägten ihren Alltag. «Für die Schule fehlte das Geld. Essen zu finden war schwierig», erinnert sie sich.
Als dann 2022 Kämpfer in Tarnkleidung ins Flüchtlingslager kamen, änderte sich Fifi Baumas Leben. Die Kämpfer sprachen von Widerstand und Patriotismus. «Unser Land wird angegriffen. Wir dürfen nicht schweigen», sagten sie. Für Bauma wurde das der Wendepunkt. Der Beitritt zu den Wazalendo war für sie die Chance, etwas zu verändern.
Siehst du den Feind zuerst, tötest du ihn. Sieht er dich zuerst, tötet er dich.
Die Ausbildung war hart und kurz. Nach wenigen Wochen stand Fifi Bauma bereits an der Front. Am 3. Februar 2023 erlebte sie ihren ersten Einsatz. «Die Feinde waren ganz nah. Wir mussten unsere Arbeit tun», sagt sie ruhig. Seitdem begleitet das Töten ihren Alltag: «Das Töten wird normal: Siehst du den Feind zuerst, tötest du ihn. Sieht er dich zuerst, tötet er dich.» Bauma spricht mit einer gefassten Stimme, doch in ihrem Blick spiegelt sich der Krieg, der sich tief in ihr Leben eingebrannt hat.
Protest gegen die Gewalt der M23
Unweit davon, auf dem Amani-Musikfestival in Goma, bahnt sich Queen Mwanze ihren Weg durch die Menge. Inmitten der ausgelassenen Stimmung hält sie ein Plakat hoch, das an das jüngste M23-Massaker erinnert. Eine stille Anklage, die zwischen Afro-Beats und französischem Rap nachhallt.
Mwanzes Rastazöpfe, geschmückt mit bunten Perlen, schimmern im Sonnenlicht. An ihren Handgelenken klirren dutzende Holzarmbänder – Geschenke von Freundinnen, die in den letzten Jahren Ostafrika bereist haben.
«Wir können Frieden nicht mit Waffen schaffen», sagt die 26-Jährige. Für Mwanze ist Protest der einzige Weg, um der Spirale der Gewalt zu entkommen. Doch auch für sie begann alles mit Gewalt.
2016 werden zwei ihrer Onkel von Banditen entführt und getötet. «Es war, als ob niemand sich dafür interessierte», sagt sie. Ihre Wut trieb sie an, Gleichgesinnte zu suchen – und sie fand die Bewegung Lucha. Die Abkürzung steht für Lutte pour le Changement (Kampf für den Wandel) und ist eine friedliche Protestbewegung, die sich in Kongo für Demokratie und Menschenrechte einsetzt.
In diesem Land Aktivistin zu sein, heisst, mit dem Sarg unter dem Bett zu schlafen – weil der Tod jederzeit kommen kann.
Als Mwanze zum ersten Mal im Quartier von der Bewegung hört, sagen ihr alle, das seien Rebellen. Trotz der Gerüchte suchte sie die Gruppe an einem Sonntag nach dem Gottesdienst auf. Statt Rebellen fand sie Jugendliche, die hitzig darüber diskutierten, was sich im Ostkongo ändern müsse. Die Gruppe kämpft mit friedlichen Protesten für Demokratie und Menschenrechte und leistet mit «Goma Actif» direkte Hilfe, indem sie Bedürftige mit Nahrung, Kleidung und Medizin versorgt. Noch beim ersten Treffen wird Mwanze Mitglied der Bewegung.
Aktivistinnen und Aktivisten helfen im Lager Kanyaruchinya
Die kongolesische Regierung geht hart gegen Aktivisten vor. Proteste werden oft mit Gewalt aufgelöst, Verhaftungen sind an der Tagesordnung.
Bereits 2016 an ihrer ersten Demonstration – einem Protest gegen fehlerhafte Wählerkarten – erfuhr sie, welchen Preis man für Aktivismus im Ostkongo zahlt. Fünf Tage verbringt sie in Haft. «Es gab keine Toiletten. Die Frauen mussten die ganze Nacht auf dem Boden sitzen», erzählt sie von der Haft. «In diesem Land Aktivistin zu sein, heisst, mit dem Sarg unter dem Bett zu schlafen – weil der Tod jederzeit kommen kann.»
Zwischen Repression und Hoffnung
Trotz der Bedrohungen lässt sich Queen nicht einschüchtern. Sie organisiert Demonstrationen, besucht Flüchtlingslager und hilft, wo sie kann. Oft bringt sie Kleidung ihrer vierjährigen Tochter Malaika mit und teilt mit ihren Kolleginnen und Kollegen Uji aus – einen Brei, der in der Kälte wärmt.
«Ich will, dass Malaika in einem Land aufwächst, in dem sie keine Angst haben muss», sagt Mwanze. Die allgegenwärtige Gewalt in ihrer Heimat erschüttert sie: «Kinder haben sich an das Geräusch von Schüssen gewöhnt.»
Für Queen Mwanze ist Aktivismus mehr als ein Protest. Es ist ein Versprechen: an ihre Tochter, ihre Gemeinschaft und sich selbst, dass der Kongo eines Tages Frieden finden wird. «Mein Ziel ist ein Kongo, in dem ich mich frei bewegen kann und der Polizei vertrauen kann. Es geht um die Zukunft aller Kongolesen.»
In den Wäldern von Nord-Kivu träumt auch Fifi Bauma davon, dass der Krieg endet: «Ich wünsche mir, dass es meinem Land gut geht. Dass der Frieden zurückkehrt.»
Zwei Frauen, ähnlich im Alter, bereit, ihr Leben zu geben – und doch grundverschieden. Queen Mwanze wählt Worte, Fifi Bauma die Waffen. Beide kämpfen sie für einen Ostkongo, der Frieden sucht. Ob sie ihn erleben werden, bleibt ungewiss. Doch sie haben gezeigt, dass der Wille zum Wandel stärker sein kann als die Gewalt.