Gemäss Angaben der israelischen Armee haben die im Gazastreifen herrschende Hamas und andere radikale Palästinensergruppen seit Ausbruch der Kämpfe über 3300 Raketen auf Israel abgefeuert. Umgekehrt beschiesst Israel gezielt Gebäude im Gazastreifen.
Der Hamas wird vorgeworfen, sie missbrauche die eigene Bevölkerung als Schutzschild, indem sie militärische Stellungen bewusst auch in Schulen oder Spitälern unterbringe. Laut Guido Steinberg, Nahost- und Terrorismusexperte, ist das eine bekannte Taktik.
SRF News: Nimmt die Hamas zivile Opfer auf beiden Seiten in Kauf?
Guido Steinberg: Ja, das ist so. Denn die Hamas ist nicht in der Lage, ganz genau zu zielen. Und deswegen nimmt sie sich grössere oder kleinere Städte auf der israelischen Seite vor, ohne dabei überhaupt nur zu versuchen, militärische Ziele zu treffen. Und deswegen kann man ihr mit Fug und Recht vorwerfen, dass sie zumindest billigend in Kauf nimmt, dass Zivilisten getötet werden.
Stimmt der Vorwurf, dass die Tunnels der Hamas unter Wohngebieten durchführen und dass sie sich absichtlich in Spitälern und Schulen einrichtet?
Das ist seit langer Zeit bekannt. Die Hamas ist eine denkbar schwache Organisation und ihre einzige Chance, sich einige Tage oder auch Wochen gegen die Israelis zu behaupten, liegt darin, dass sie ihre Waffenwerkstätten beispielsweise unter Hospitälern anbringt, dass sie ihre Abschussanlagen in der Nähe von zivilen Einrichtungen oder auch Wohngebieten unterbringt.
Wenn die Israelis angreifen, dann werden zwangsläufig auch Zivilisten getötet und die Hamas hat einen Propagandaerfolg.
Damit kann sie zwei Dinge erreichen: Erstens hindert sie die Israelis daran, mit aller Macht gegen diese Werkstätten und Abschussvorrichtungen vorzugehen. Und zweitens: Wenn die Israelis angreifen, dann werden zwangsläufig auch Zivilisten getötet und die Hamas hat einen Propagandaerfolg. Das ist zynisch, aber offensichtlich das Kalkül der Hamas.
Ist das der Grund, weshalb die Hamas als Terrororganisation gilt?
Ja, wobei es auch andere Gründe gibt. Aus meiner Sicht das noch überzeugende Argument sind die Selbstmordattentate, die sie in der Vergangenheit verübt hat, vor allem auf israelischem Territorium gegen Zivilisten, aber auch gegen das Militär.
Es gibt in Europa und in der westlichen Welt insgesamt praktisch keine Diskussion mehr: Die Hamas ist selbstverständlich eine Terrororganisation, und sie macht das durch diesen Beschuss von Wohngebieten ein weiteres Mal deutlich. Aber letzten Endes ist das seit langer Zeit bekannt und auch weitgehend unbestritten.
Eine Terrororganisation richtet sich mitten in der Bevölkerung ein. Wie kommt das an? Wie stehen die Palästinenser der Hamas gegenüber?
Tragischerweise hat die Hamas trotz dieser sehr zynischen Vorgehensweise immer noch Unterstützung. Das liegt aus meiner Sicht vor allem daran, dass ihr grosser Rivale, die Palästinensische Autonomiebehörde PLO, die die Westbank beherrscht, so ungeheuer korrupt ist und nicht in der Lage, irgendwelche Vorteile für die Palästinenser herauszuholen. Die Hamas hat in der Vergangenheit dadurch gepunktet, dass sie weniger korrupt ist.
Die Hamas steht für eine bewaffnete Konfliktlösung.
Sie ist auch korrupt, aber so korrupt wie die PLO bei weitem nicht. Hinzu kommt, dass das Ende der Zweistaatenlösung, das Abbrechen eines wirklich zielgerichteten Friedensprozesses, schon vor längerer Zeit dazu geführt hat, dass die Befürworter einer bewaffneten Konfliktlösung an Boden gewinnen. Und dafür steht nun einmal die Hamas auf der palästinensischen Seite.
Das Gespräch führte Valérie Wacker.