Seit Anfang Jahr ist in die Mordrate in US-Metropolen stark angestiegen. In der Statistik stechen zwei Städte heraus: Im Juli 2020 wurden in New York fast 50 Prozent mehr Morde begangen als im Juli vor einem Jahr. In Chicago betrug der Anstieg sogar über 150 Prozent – die Stadt könnte 2020 die höchste Mordrate seit mehr als 20 Jahren erreichen.
Auch im Jahresvergleich ist in diesen Städten eine deutliche Zunahme zu verzeichnen.
Einen Einfluss auf die Verbrechensrate habe die Jahreszeit: «Im Sommer steigen Gewaltverbrechen sowieso, auch in anderen Jahren», erklärt USA-Korrespondentin Isabelle Jacobi.
Dieser Sommer sei aber anders – wegen Corona. «Viele sind arbeitslos, haben Geldprobleme, die Schulen und Kirchen sind geschlossen. Integrierende Faktoren fehlen zurzeit, und die Nerven liegen blank.»
Kampf um Stadtviertel
Zudem führten die seit Monaten anhaltenden «Black Lives Matter»-Proteste zu Ausschreitungen und binden Polizeikräfte, die dann andernorts fehlen. Allerdings seien nicht die Viertel betroffen, in denen die Menschen demonstrieren, «sondern diejenigen, die auch üblicherweise von Gang-Gewalt betroffen sind, wo verarmte Minderheiten wohnen», sagt Jacobi.
Bei Gang-Schiessereien, wie es sie etwa in Chicago gibt, werden immer wieder auch Unbeteiligte und Kinder verletzt. Fast 40 Jugendliche sind in diesem Jahr in der Grossstadt bereits erschossen worden. Verbrechen wie Raub oder Vergewaltigungen nehmen aber ab – die Ursachen dafür sind noch nicht geklärt.
Da viele Städte in den USA von Demokraten regiert werden, machte Präsident Trump deren Politik für die Gewaltzunahme verantwortlich. «Gewaltverbrechen steigen generell, unabhängig von der Geografie oder der politischen Couleur der Stadtregierungen.» Auch republikanisch regierte Städte wie Jacksonville oder Fort Worth seien vom Phänomen betroffen.
Kampf um Budgets
Durch die Pandemie und die Proteste ist die Polizei in den USA stark gefordert – und sie steht auch im Kreuzfeuer der Kritik. Die Stadtregierungen stünden unter Druck, Polizeibudgets zusammenzukürzen. So wie in New York: «Dort bieten sich der Bürgermeister und die Polizeigewerkschaften einen regelrechten Stellungskrieg.»
New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio habe ihnen die Mittel zur Verteidigung auf der Strasse genommen, sagen die Polizisten. Die Cops würden passiven Widerstand betreiben; sich taktisch zurückhalten, um die Kriminalitätsquote hochzutreiben und Angst zu schüren. Das werfen ihnen die Demokraten vor. Und der US-Präsident nützt die Gunst der Stunde, um Wahlkampf gegen die Demokraten zu betreiben.
Kampf um Deutungsmacht
«Es ist klar eine Wahlkampfstrategie von Präsident Trump, Ängste zu schüren und sich selber als Verteidiger von Recht und Ordnung darzustellen», so die SRF-Korrespondentin. Diese Taktik habe schon Präsident Nixon nach den Bürgerrechtsprotesten 1968 mit Erfolg verfolgt. Ob Trumps Einsätze der Bundespolizei nützen und seinem demokratischen Herausforderer Joe Biden schaden, sei schwer vorauszusagen.
Auf der anderen Seite versuchten auch die Demokraten politisches Kapital aus der grassierenden Gewalt zu schlagen, sagt Jacobi: «Sie behaupten, Trump versuche von seinem Corona-Debakel abzulenken und schüren gleichfalls Ängste mit der Behauptung, der Präsident wolle die USA zu einer Autokratie umwandeln.» In den USA herrscht derzeit Ausnahmezustand. Wann er endet, bleibt offen.