Noch immer liegt der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny auf der Intensivstation. Nach Erkenntnissen des Berliner Krankenhauses Charité wurde Nawalny mit dem chemischen Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet.
Nervengifte der Nowitschok-Gruppe kann man nicht im Heim-Labor zusammenmischen oder auf dem Schwarzmarkt kaufen. Zu solchen Giften haben nur gut vernetzte Leute Zugriff. In Russland wären das die Geheimdienste oder die Armee. Beweise gibt es keine, dass der Kreml oder gar Präsident Putin persönlich in den Giftanschlag verwickelt sind.
Litwinenko, Skripal und weitere Akteure
Der Fall Nawalny weckt in Russland einige Erinnerungen. Denn auf den Anti-Korruptions-Kämpfer hatte es in der Vergangenheit schon Anschläge gegeben. So musste Nawalny vor einem Jahr während seiner Haftstrafe in einem Krankenhaus angeblich wegen eines «Allergieschocks» behandelt werden.
Und der 44-Jährige ist längst nicht der einzige Kritiker von Kremlchef Wladimir Putin, der in den vergangenen Jahren mit Vergiftungserscheinungen ins Spital eingewiesen werden musste.
Das wohl bekannteste Beispiel ist Alexander Litwinenko. Der russische Ex-Spion und Regierungskritiker starb 2006 in London an einer Vergiftung durch Polonium, nachdem er mit ehemaligen KGB-Agenten Tee getrunken hatte. Eine offizielle Abklärung der Todesursache gab es nie. Litwinenko war sich aber sicher, dass die russische Regierung dahinter steckt.
Ebenfalls bekannt ist der Fall des früheren russischen Doppelagent Sergej Skripal und seiner Tochter Julia. Die beiden wurden Anfang 2018 in der englischen Stadt Salisbury Opfer eines Giftanschlages und entrannen nur knapp dem Tod. Zweifelsfrei aufgeklärt wurde auch dieser Anschlag nie. Da das Nervengift Nowitschok jedoch in der Sowjetunion entwickelt wurde, wird eine Beteiligung Russlands nicht ausgeschlossen.
Ein weiterer Fall, der Parallelen zu Nawalny aufweist, ist derjenige des Aktivisten Pjotr Wersilow. Das Mitglied der russischen Polit-Punk-Gruppe Pussy Riot war vor zwei Jahren wegen einer Vergiftung aus Moskau zur Behandlung nach Berlin geholt worden. Wersilow verdächtigte 2018 den russischen Geheimdienst, ihn vergiftet zu haben.
Nachdem Alexej Nawalny ins Spital eingewiesen wurde, meldete sich zudem ein russischer Oppositionspolitiker zu Wort, der selber bereits zwei Giftanschläge überlebt hat: Wladimir Kara-Mursa, ehemaliger Berater des 2015 in Moskau erschossenen Oppositionspolitikers Boris Nemzow.
«Giftanschläge sind für Menschen, die gegen politische Gegner Putins vorgehen, zu einem Lieblingswerkzeug geworden», sagte Wladimir Kara-Mursa gestern vor den Medien. Er selber wurde 2015 und 2017 wegen Vergiftungserscheinungen in Moskau ins Spital eingewiesen. Aufgeklärt wurden die Fälle nie zweifelsfrei.
Es bleiben viele Fragen offen
Tragisch ist auch der Fall eines Russen in London. So starb der russische Geschäftsmann und Informant Alexander Perepilitschni 2012 beim Joggen. Eine spätere Untersuchung förderte Spuren eines Pflanzengifts in seinem Magen zutage, ein britischer Untersuchungsrichter zog diese Erkenntnisse jedoch wieder zurück.
Die russische Regierung hat in der Vergangenheit wiederholt Vorwürfe zurückgewiesen, sie lasse unliebsame Personen mit Gift aus dem Weg schaffen. Doch es gibt neben ungeklärten Vergiftungen auch Fälle von erschossenen russischen Oppositionellen, die nie aufgeklärt wurden.