Das Gipfeltreffen von US-Präsident Joe Biden und Russlands Präsident Wladimir Putin am 16. Juni in Genf zeigt den guten Willen beider Seiten, miteinander im Gespräch zu bleiben – trotz teils grosser Differenzen. Dass diese ganz ausgeräumt werden können, ist allerdings illusorisch. Darin sind sich die SRF-Korrespondenten Matthias Kündig in den USA und David Nauer in Moskau einig.
SRF News: Welchen Stellenwert hat das Treffen in Genf für die Politik von Joe Biden?
Matthias Kündig: Keinen allzu hohen. Zum einen konzentriert sich Präsident Biden vor allem auf die amerikanische Innenpolitik, zum andern gilt China in der US-Aussenpolitik als die grösste Herausforderung, nicht Russland.
Für die USA gilt China als grösste Herausforderung – nicht Russland.
Auch macht sich Biden – anders als seine Vorgänger Barack Obama und Donald Trump – wohl keine Illusionen, dass mit Putin derzeit eine Annäherung möglich wäre. Biden ist vor allem pragmatisch: Er möchte verhindern, dass sich das Verhältnis zu Moskau weiter verschlechtert.
Wie wichtig ist das Gipfeltreffen in Genf für Wladimir Putin?
David Nauer: Für Putin ist der Gipfel schon wichtig. Die Russen sehen – wie zu Zeiten des Kalten Krieges – den wichtigsten geopolitischen Konkurrenten, wenn nicht sogar Gegner, in den USA. Und es gibt in der Tat viele Differenzen zwischen Washington und Moskau. Das geht von der Rüstungskontrolle über die Cybersicherheit bis zum Konflikt in der Ukraine.
Putin lebt wegen Corona in ziemlicher Selbstisolation – für Biden macht er eine Ausnahme.
Dass das Treffen für Moskau wichtig ist, unterstreicht auch der Umstand, dass es für Putin seit Beginn der Pandemie vor bald eineinhalb Jahren die erste Auslandsreise ist. Derzeit trifft der russische Präsident auch in seinem Land nur sehr selten Menschen persönlich. Er lebt wegen Corona in ziemlicher Selbstisolation. Doch für Biden macht er jetzt eine Ausnahme.
Trump galt als eher Moskau-freundlich – hat man in Russland Bedenken, dass jetzt mit Biden ein anderer Wind weht?
David Nauer: Die Russen haben sowohl Trump als auch Biden gegenüber gemischte Gefühle. Mit Trump hatte man in Moskau grosse Hoffnungen verknüpft, die aber nicht erfüllt wurden. Man hat mit Trump nichts erreicht – die Beziehungen zwischen Russland und den USA befinden sich sogar auf einem neuen Tiefpunkt.
Moskau hofft, dass Biden verlässlicher und berechenbarer ist als Trump.
Biden ist eher Russland-kritisch – er hat Putin bekanntlich sogar als «Killer» bezeichnet –, was die Situation für Moskau eher erschwert. Andrerseits hofft Moskau, dass Biden verlässlicher und berechenbarer ist als Trump und dass einige der bestehenden Probleme mit ihm gelöst werden können. Mit entsprechend grosser Spannung blickt man in Moskau auf den Genfer Gipfel.
Ist zu erwarten, dass Biden gegenüber Putin völlig anders auftritt, das das Trump gemacht hat?
Matthias Kündig: Auf der persönlichen Ebene ganz bestimmt. So hat Biden Putin in der Vergangenheit immer wieder öffentlich kritisiert. Im April machte Biden mit verschärften Sanktionen gegen Russland auch klar, dass seine Regierung das Verhalten Moskaus nicht einfach so hinnimmt – was etwa die Ukraine, den Fall des Inhaftierten Oppositionellen Alexej Nawalny oder Hackerangriffe und die Einmischung in die US-Wahlen betrifft.
Bei Themen von gemeinsamem Interesse sind die USA durchaus bereit, mit Russland zusammenzuarbeiten.
Daneben sind die USA aber durchaus bereit, mit Russland zusammenzuarbeiten. Das betrifft Themen, bei denen es gemeinsame Interessen gibt, wie die Rüstungskontrolle, den Klimawandel oder die Pandemiebekämpfung.
Das Gespräch führte Roger Aebli.