In der scheinbar bipolaren Weltordnung gibt es Länder, die sich weder dem US-dominierten «Westen» zuordnen noch fix an Russland oder China orientieren. Diese Länder nennt man «Global Swing States». Saudi-Arabien gehört dazu, ebenso wie Brasilien, Indien, Indonesien, Südafrika oder die Türkei. Sie spielen eine immer wichtigere Rolle in der Weltpolitik. Politologin Gesine Weber nennt sie «Mittelmächte mit flexiblen Allianzverhalten».
SRF: Was veranlasst «Global Swing States» zu ihrem flexiblen Allianzverhalten?
Gesine Weber: Das ist auf der einen Seite, dass diese Staaten oft nicht in Allianzen wie die Nato eingebunden sind, sie können, müssen aber nicht. Wir sehen, dass sich der Wettbewerb zwischen den USA und China in den letzten Jahren intensiviert hat. Und daraus ergeben sich auf globaler Ebene Risiken für Staaten, die nicht die USA und China sind.
Indien ist an Europa und auch die USA herangerückt, aber tritt in dieser Beziehung auch selbstbewusster auf.
Auf der anderen Seite ergeben sich daraus aber auch Chancen, weil natürlich sowohl die USA und China jeweils auf der Suche nach Partnern sind, um eben ihre Ansätze auf globaler Ebene verfolgen zu können. Das bedeutet für diese aufstrebenden Mächte, dass die in der Beziehung zu beispielsweise den USA, aber auch zu Europa ein ganz anderes Gewicht bekommen. Das sehen wir jetzt beispielsweise auch gerade an Indien. Indien ist in den letzten Jahren schon sehr deutlich an Europa und auch die USA herangerückt. Aber Indien tritt in dieser Beziehung eben auch durchaus selbstbewusster auf, was daran liegt, dass sich dieser Staat seines Gewichts natürlich bewusst ist.
Wie beeinflussen sie die Weltpolitik?
Es ist ganz klar, dass wir die Weltordnung neu denken müssen und auch andere Spieler hinzukommen. Wir müssen einfach anerkennen, dass diese Staaten eben teilweise auch ein Potenzial haben, was die USA und auch Europa teilweise nicht mehr haben und dadurch auch andere Koalitionen bilden und andere Spieler an den Tisch bringen können. Was gerade bei der Lösung von globalen Herausforderungen wie Klimawandel, wie beispielsweise auch lokalen Konflikten eine Chance sein kann. Andererseits birgt es natürlich auch das Risiko, dass es für uns als Europäer potenziell dadurch nicht einfacher wird, unsere Interessen auch durchzusetzen.
Wie soll der Westen denn mit solchen Ländern zusammenarbeiten?
Zuerst einmal ist natürlich dieser Begriff ‹der Westen› ein bisschen schwierig, weil gerade, wenn es um den Wettbewerb der USA und China geht, es ja nicht so ist, dass die Europäer 100-prozentig mit der Position der USA übereinstimmen und da gerade noch ihren Weg eigentlich finden müssen.
Es ist ganz wichtig, den Dialog mit diesen Staaten zu intensivieren.
Aber was man auf jeden Fall sagen kann, ist, dass es ganz wichtig ist, den Dialog mit diesen Staaten zu intensivieren und auch zu schauen, wo gemeinsame Interessen bestehen. Die EU hat beispielsweise gemeinsam mit Indien einen Trade and Technology Council ins Leben gerufen, wo man überlegt, wie man mit neuen Technologien zusammenarbeiten kann. Wo gemeinsame Interessen sind, da besteht dann eben auch wirklich ein Kooperationspotenzial. Andererseits ist es sehr wichtig, dass man natürlich auch seine eigenen Interessen und Werte definiert. Denn das Problem bei der Kooperation mit gewissen Staaten ist, dass diese Staaten eben potenziell auch nicht unsere Werte teilen. Also wenn wir beispielsweise an Saudi-Arabien denken, dann ist sehr offenkundig, dass da eklatante Unterschiede bei der Auffassung von Menschenrechten bestehen.
Das Gespräch führte Iwan Lieberherr.