Für 73 Abgeordnete des Vereinigten Königreichs ist es der letzte Arbeitstag im Europäischen Parlament. Am Samstag ist Grossbritannien nicht mehr Mitglied der Europäischen Union. Es ist kein Tag zum Feiern für die meisten britischen Abgeordneten – auch nicht für Irina von Wiese.
Sie war sieben Monate lang Abgeordnete aus dem Wahlkreis Westminster, temporär Berufspolitikerin, Mitglied des Europäischen Parlaments, und Liberaldemokratin. Wie es nun beruflich weitergeht, weiss sie nicht. «Keine Ahnung», sagt Irina von Wiese. Der gelbe Rollkoffer steht in der Ecke des Büros – aufräumen, abreisen. Sie glaube, zehn Kisten pro Abgeordneten seien das Maximum. «Das ist natürlich traurig, aber wir packen die ja nur vorübergehend», sagt sie.
Man spürt es: Irina von Wiese tut sich immer noch schwer mit dem Brexit. Sie will politisch in ihrer Heimat weiter dafür kämpfen, dass ihr Land eng mit der Europäischen Union verbunden bleibt. «Wir können ja jetzt nicht einfach nach Hause gehen und aufgeben», sagt sie.
Das ist natürlich traurig, aber wir packen die ja nur vorübergehend.
Sie wird denen, die für den Brexit gestimmt haben, erklären, dass eine enge Anbindung an die EU weiterhin vorteilhaft für ihr Heimatland wäre. Entweder Grossbritannien folge den EU-Regeln weiterhin oder es tue es eben nicht, sagt sie und: «Und wenn es das nicht tut, dann verliert es tatsächlich seinen grössten Handelspartner und dann wird es sich tatsächlich ausverkaufen müssen, an die Amerikaner oder vielleicht noch schlimmer, an die Chinesen.» Diese hätten schon einen Grossteil der physischen Infrastruktur in Grossbritannien aufgekauft, erläutert sie. Das ist eine Befürchtung von von Wiese – mehr nicht.
Sie ist eine geborene Europäerin. Aufgewachsen ist sie in Köln, der Heimatstadt von Konrad von Adenauer. Mit 13 Jahren reiste sie für einen Schülerinnenaustausch das erste Mal nach Grossbritannien. «Es war eine Liebe auf den ersten Blick: Ich mag die Briten gerne; ich habe mich dort immer wohlgefühlt und ich habe mich vom ersten Tag an dort willkommen und zu Hause gefühlt.»
Wir können ja jetzt nicht einfach nach Hause gehen und aufgeben.
Nach dem Studium zog sie mit dem deutschen Anwaltspatent in der Tasche nach London. Die Anerkennung des Anwaltspatents war kein Problem – eine Errungenschaft der EU. Geplant war ein Jahr, es sind mehr als 20 Jahre sind daraus geworden. Im letzten Jahr erwarb sie zusätzlich den britischen Pass. «Ich bin überzeugt, dass Grossbritannien wiederkommt», erklärt sie. «Das Vereinigte Königreich wird in ein paar Jahren wieder bei der EU anklopfen.» Von Wiese bleibt eine Remainerin, bis zum letzten Tag.
SRF 4 News 30.1.2020