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Gottesdienstverbot in Südkorea Kirchgemeinde-Mitglieder steckten sich bei Demonstration an

In Südkorea steigen die Coronazahlen wieder an. Speziell ist, dass sich das Virus wieder in einer Religionsgemeinschaft ausbreitet.

Was ist passiert? Südkorea gilt als vorbildlich, was den Umgang mit der Corona-Pandemie betrifft. Das Land hat die erste Welle im Frühjahr rasch unter Kontrolle gebracht. Doch seit Mitte August steigt die Zahl der Fälle wieder rasant an. Zuletzt gab es so viele Neuansteckungen wie im März. «Wir hatten in den vergangenen zwei Wochen insgesamt über 3000 Neuinfektionen in Südkorea», erklärt Martin Fritz, Südkorea-Mitarbeiter von SRF.

Was sind die Gründe dafür? Im internationalen Vergleich sind die Zahlen nicht dramatisch. Brisant ist aber, wo sich die Leute angesteckt haben. «Jede vierte Neuinfektion ging auf das Konto einer kleinen presbyterianischen Reformkirche im Nordosten der Hauptstadt Seoul», sagt Fritz. Viele Gemeindemitglieder hätten sich – ohne Masken und ohne Abstand zu halten – bei einer Grossdemonstration gegen die Regierung angesteckt.

Was ist das für eine Gruppe? Die evangelikale Gemeinschaft heisst Sarang Jeil. «Das bedeutet, ‹Liebe kommt zuerst›», weiss der Asienkenner. «Ihre schätzungsweise 4000 Mitglieder sind politisch aktive, konservative Christen, die davon überzeugt sind, dass der liberale Präsident Südkorea in eine gottlose kommunistische Hölle führen will, weil er sich für die Annäherung an Nordkorea einsetzt.» Deshalb nehme diese Kirche an Demonstrationen gegen die Regierung teil, an denen es nun zu diesen neuen Infektionen kam.

Frau auf Bank, Person in Schutzanzug versprüht ein Mittel.
Legende: Bei der ersten Welle steckte eine Gottesdienstteilnehmerin mit Symptomen zahlreiche Leute an. Keystone/Symbolbild

Bei der ersten Welle war es schon eine religiöse Gemeinschaft, die zur Verbreitung des Virus in Südkorea beigetragen hat. Einige Gottesdienste fanden ohne Abstand und ohne Masken statt. Man hat sich umarmt, gemeinsam gesungen und gegessen. Dieses Verhalten war zum damaligen Zeitpunkt nicht ausdrücklich verboten. Daher sagen die Vertreter dieser Kirchgemeinschaften, dass sie von der Regierung unfair behandelt würden.

Wie kommt das in der Bevölkerung an? Die erste Welle im März ging auf eine 61-jährige Frau zurück, die zu einer Kirchgemeinschaft in der südlichen Stadt Daegu gehörte. Sie hatte trotz Fieber mehrere Gottesdienste besucht und dabei viele Leute angesteckt. «Da gab es schon heftige Reaktionen auf diese Gemeinschaft, auch weil sie anfangs die Namen ihrer Mitglieder nicht nennen wollte.»

Doch das Christentum ist in Südkorea stark verankert: Es ist die grösste Religionsgruppe im Land. «Die vielen Kirchen mit ihren Neonlichtkreuzen sind im öffentlichen Leben sehr sichtbar», erklärt der Korrespondent.

Wie reagiert die Politik darauf? In Südkorea herrscht Religionsfreiheit. Fast 30 Prozent der Südkoreaner sind Christen, ein Drittel davon Katholiken, zwei Drittel Protestanten. «Sie haben also einen grossen politischen Einfluss», weiss Fritz. «Dagegen geht keine Regierung leichtfertig vor.» Der Gründer und Leiter der Kirche, die die erste Welle mitgetragen hat, sitze zwar seit Anfang August in Haft. Allerdings nicht wegen Behinderung der Behörden im Kampf gegen das Coronavirus, sondern wegen Unterschlagung in Millionenhöhe.

Anwalt des Sarang-Jeil-Pastors Jun Kwang-hun vor Medien
Legende: Der Anwalt des Sarang-Jeil-Pastors Jun Kwang-hun kritisiert vor den Medien den Präsidenten. Keystone

«Es gab im Internet auch eine Unterschriftensammlung für ein Verbot seiner Kirche», so Fritz. Darauf habe der Staat nicht reagiert. Aber am Wochenende wurde wieder die zweite Alarmstufe gegen die Pandemie ausgerufen: Seitdem sind alle Gottesdienste und auch andere grössere Versammlungen verboten.

SRF 4 News, 25.08.2020, 09.15 Uhr ; 

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