Die Kirchenglocke im griechischen Pereia läutet für einen jungen Eisenbahner, der bei dem Zugunglück im Februar getötet wurde. Und sie läutet eine neue Phase der Beziehungen zwischen Griechenland und der Türkei ein.
Unter den Trauergästen in der Kirche ist der Vater des Toten, der wegen Drogenschmuggels in türkischer Haft sass, als sich das Unglück ereignete. Als Geste des Mitgefühls hat die Türkei ihn an Griechenland überstellt.
Worte des Danks
Bei einem Treffen in Brüssel dankte der griechische Aussenminister Nikos Dendias seinem türkischen Kollegen. «Ich habe meinem guten Freund Mevlüt Cavusoglu gedankt, weil er mich als erster Minister nach dem Zugunglück angerufen hat, um zu kondolieren und Hilfe anzubieten.»
«Und weiter habe ich Mevlüt zu danken, weil er zugesagt hat, dass die Türkei die griechische Bewerbung um einen Sitz im UNO-Sicherheitsrat unterstützen wird», sagte Dendias.
Ich bin sehr froh, dass wir jetzt eine viel bessere Atmosphäre in unseren Beziehungen haben. Vielen Dank, Niko, für dieses gute Gespräch heute.
Umgekehrt habe er Cavusoglu versprochen, dass Griechenland die Kandidatur der Türkei für das Generalsekretariat der Weltschifffahrtsorganisation unterstützen werde, fügte Dendias hinzu. «Es war mir eine grosse Freude, lieber Mevlüt, dich zu treffen und ich hoffe, dass wir uns bald wiedersehen.» Das sind ganz neue Töne zwischen zwei Staaten, die noch vor kurzem auf einen bewaffneten Konflikt zuzusteuern schienen.
Vorläufiges Ende des Säbelrasselns
Türkische Truppen konnten über Nacht die griechischen Inseln in der Ägäis besetzen, drohte der türkische Präsident Erdogan noch vor ein paar Monaten. Nun hörte sich sein Aussenminister ganz anders an, als er Dendias für die griechische Hilfe nach den Erdbeben in der Türkei dankte. «Ich bin sehr froh, dass wir jetzt eine viel bessere Atmosphäre in unseren Beziehungen haben. Vielen Dank, Niko, für dieses gute Gespräch heute.»
Wer hat also bewirkt, was kein internationaler Vermittler geschafft hat? Es sind die Menschen in der Türkei und Griechenland, genauer die Wählerinnen und Wähler, sagt der Politologe Ioannis Grigoriadis, griechischer Türkeiexperte an einer griechischen Denkfabrik und einer türkischen Universität. Er stellt gerade die Ergebnisse einer demoskopischen Langzeitstudie in beiden Ländern vor.
«Wir haben in der Studie festgestellt, dass die öffentliche Meinung in der Türkei und Griechenland sich von der rhetorischen Eskalation der Politiker nie mitreissen liess», erklärt der Politologe. «Obwohl die Medien auf beiden Seiten aufwiegelten, blieben die Menschen in beiden Ländern dabei, dass sie gemässigte, diplomatische und gewaltfreie Lösungen befürworten.»
Freunde auch noch nach den Wahlen?
Demnächst bekommen diese Menschen das Wort an der Wahlurne. Sowohl in der Türkei als auch in Griechenland wird im Mai gewählt. Höchste Zeit für die Regierungen, dem Wählerwillen zu folgen. Das werde mit der rasanten Annäherung nun vollzogen, sagt Politologe Grigoriadis. «Wir sahen bei unserer Studie immer eine Kluft zwischen der Rhetorik der Politiker und der Realität in den Umfragen, die schwer zu erklären war. Was wir jetzt beobachten, ist eine Anpassung der Regierungspolitik an die öffentliche Meinung in beiden Ländern.»
Ob die neue Freundschaft über die Wahlen hinaus hält, wird sich zeigen müssen. Athen und Ankara waren auch nach Erdbeben in beiden Ländern im Jahr 1999 aufeinander zugegangen. Doch die Streitpunkte konnten trotz intensiver Kontakte nicht ausgeräumt werden, und die Harmonie war nicht von Dauer.