Die Corona-Pandemie, und besonders der Shutdown, führen zu mehr Fällen von häuslicher Gewalt, auch in Australien. Nichtregierungsorganisationen berichten, insbesondere die Gewalt gegen ältere Menschen – jüngere Familienmitglieder, die ihre Eltern schlagen – habe deutlich zugenommen.
Zum Beispiel seien die beiden 65 und 64 Jahre alten Michael und Leslie Taylor letztes Jahr von ihrem 34 Jahre alten Sohn mit einem Hammer erschlagen worden, sagt Urs Wälterlin, SRF-Mitarbeiter in Australien. «Das ist leider kein Einzelfall: Elf Fälle von Morden an über 55-Jährigen durch jüngere Familienmitglieder wurden im vergangenen Jahr registriert.»
Kein Job, keine eigene Wohnung
Auch Senioren-Nothilfe-Dienste melden ein Anstieg der Hilferufe. «Die Fälle von Misshandlung älterer Australierinnen und Australier sind an einem Ort um fast 60 Prozent angestiegen», weiss Wälterlin. Dafür, dass sich die zunehmende Gewalt besonders gegen ältere Menschen richtet, sei unter anderem die Situation um Covid-19 verantwortlich, sagen Experten.
Denn viele junge Erwachsene haben im Zuge der Pandemie ihre Arbeit verloren und müssen ihre Wohnung aufgeben. Viele ziehen zurück zu ihren Eltern. «Und da entwickeln sich dann aus Frustration und Zukunftsangst, gepaart mit alten Spannungen, Konflikte», erklärt der Korrespondent. Und diese entlüden sich manchmal auch in Gewalt gegen die Verwandten.
Keine Orte, um sich anzuvertrauen
Hilfsangebote und Prävention sind in Zeiten von Corona schwer zu erreichen. «Es gibt mehrere karitative Organisationen, die Hilfe anbieten. Die sind aber nur übers Telefon erreichbar», sagt Wälterlin. Persönliche Hilfe im direkten Kontakt mit Leuten oder eine Stelle, die man aufsuchen kann, gebe es kaum.
Auch andere Orte, an denen sozialer Kontakt möglich wäre, waren und sind in bestimmten Teilen des Landes coronabedingt geschlossen – etwa Bibliotheken und Gemeindezentren. «Das führt für die betroffenen Menschen zu einer zusätzlichen Isolation: Sie können sich niemandem mehr anvertrauen ausserhalb des Haushaltes, in dem auch der Täter oder die Täterin wohnt.»
Einzelne Bundesstaaten hätten inzwischen ein Bewusstsein für die zunehmende Problematik entwickelt. «Australien hat aber noch ein viel grösseres Problem», sagt Wälterlin – nämlich die Frage, wie das Land mit seinen älteren Menschen generell umgeht. «Da muss man sagen: furchtbar.» Bei einer Langzeitstudie sei diese Woche herausgekommen, dass in Alters- und Pflegeheimen katastrophale Zustände herrschten. Vernachlässigung, Verwahrlosung, miserable Ernährung, Gewalt seien dort endemisch.
Und das sei, sagen Experten, eine Folge der fast kompletten Privatisierung des Sektors in den letzten Jahren. «Es wird an Personal gespart», kritisiert Wälterlin. Die Suche nach Lösungen werde allerdings schwierig, «weil ein doch sehr gewinnsüchtiger und politisch gut vernetzter Sektor an seinen hohen Profit auf Kosten der alten Menschen gewöhnt ist».