«Wenn er dich schlägt, liebt er dich.» Dieses russische Sprichwort bringt eine traurige Realität auf den Punkt: Häusliche Gewalt wird in Russland systematisch schöngeredet.
Nun aber formiert sich Widerstand: Aktivistinnen und Aktivisten haben ein Gesetz ausgearbeitet, das Täter härter bestrafen und Opfer besser schützen soll. Eine Aktivistin ist Aljona Popowa. Es ist vor allem eine Szene in einem Krankenhaus, welche sie geprägt hat.
Sie sagte nur: ‹Ich bin selber schuld, ich habe ihn provoziert.›
«Meine Freundin lebte, aber sie hatte das Kind verloren», erzählt Popowa. Ihr ganzer Körper sei blau von den Schlägen gewesen. Ihr Partner und Peiniger sei draussen vor der Tür gestanden. «Und sie sagte nur: ‹Ich bin selber schuld, ich habe ihn provoziert.›»
Das Opfer gibt sich selbst die Schuld, der Täter bleibt unbehelligt – Popowa konnte diese Ungeheuerlichkeit gar nicht glauben. Ihr Kampf gegen häusliche Gewalt in Russland begann. Nun hilft ihre Organisation «Du bist nicht allein» Betroffenen, berät Ärzte und organisiert Informationskampagnen.
Popowa sagt, dass rund 16 Millionen Frauen in Russland schon einmal häusliche Gewalt erlebt hätten. Nur die wenigsten Täter müssten sich vor Gericht verantworten. Gewalt in Partnerschaften und Familien werde nicht bloss ignoriert, «die Gewalt werde aktiv kleingeredet und geleugnet», so Popowa.
Popowa beschreibt einen eigentlichen Kulturkampf, der in Russland tobt: «Auf der einen Seite stehen die sogenannten Slawophilen, die glauben, dass Russland ein ganz besonderes Land sei, in dem Frauen keine Rechte haben.» Frauen müssten alle möglichen Zumutungen ertragen, weil der Herrgott sie prüfen wolle, erklärt sie. Auf der anderen Seite stünden die sogenannten Westler, erklärt Popowa – also Leute wie sie.
Russland braucht ein solches Gesetz als klares Signal, dass Gewalt nicht hinnehmbar ist.
In der Zwischenzeit kam es zu einigen besonders fürchterlichen Verbrechen: Ein Mann im Umland von Moskau entführte seine Frau, verschleppte sie in einen Wald und schnitt ihr dort beide Hände ab. Ein Vater vergewaltigte und quälte seine Töchter so lange, bis sie sich nicht mehr anders zu wehren wussten, als ihren Peiniger zu erstechen. Die Monstrosität dieser Gewalttaten hat viele Russinnen und Russen aufgeschreckt. Es kam zu Demonstrationen und Online-Aktionen gegen häusliche Gewalt.
Aljona Popowa und ihre Mitstreiterinnen wollen diesen Schwung nutzen. «Wir haben ein Gesetz gegen häusliche Gewalt ausgearbeitet», sagt sie. Russland brauche ein solches Gesetz «als klares Signal, dass Gewalt nicht hinnehmbar ist.»
Parlament berät Gesetz
Der Gesetzesentwurf sieht unter anderem vor, dass Täter härter bestraft – und Opfer besser geschützt werden. So soll etwa die Polizei einen gewalttätigen Partner aus der gemeinsamen Wohnung weisen können – ein Instrument, das es bisher nicht gibt. Das Gesetz wird derzeit im Parlament beraten, wobei männlich dominierte Parlamentariergruppen versuchen, die Vorlage abzuschwächen.
Popowa sagt, dass sie auch Unterstützung hätten. «Walentina Matwijenko zum Beispiel sagte, es brauche so ein Gesetz. Wir hoffen sehr auf sie.» Matwijenko ist Vorsitzende des Föderationsrates, einer der Kammern des Parlaments. Die langjährige Putin-Vertraute ist immerhin formal die drittmächtigste Person im Staat. Nur Premierminister Dmitri Medwedew und Präsident Wladimir Putin haben mehr zu sagen. Das Schicksal des Gesetzes sei dennoch noch nicht entschieden, sagt Popova. Ein Gesetz werde bestimmt verabschiedet, «aber die Frage ist, wie es genau aussehen wird.»