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Handy-Verzicht in Irland Aufwachsen ohne eigenes Smartphone

Kinder sollen wieder Kinder sein dürfen – verschont von Social Media und Cybermobbing. So wollen es in Irland viele Eltern und Schulen, die den Smartphone-Verzicht vereinbart haben.

Es ist Zvieri-Zeit für die 10-jährige Jane und ihre 8-jährige Schwester Rachel. Die beiden Mädchen haben einen Erdbeerkuchen gebacken, den ihre Mutter Christina Capatina in Stücke schneidet und verteilt.

Kinder dekorieren Kuchen mit Erdbeeren in der Küche.
Legende: Rachel (links) und ihre Schwester Jane naschen vom selbstgebackenen Erdbeerkuchen. RTS

Mit ihrem Erdbeerkuchen könnten Rachel und Jane auf Instagram und Co punkten. Doch die Mädchen haben keine Smartphones, um Bilder davon zu posten. «Andere Kinder finden es hart. Ich kann gut ohne Smartphone leben», sagt Rachel. «Diesen Erdbeerkuchen muss auch nicht die ganze Welt gesehen haben.»

Der freiwillige Verzicht macht Schule

Rachel und Jane wachsen in Greystones auf, etwa 20 Kilometer südlich der irischen Hauptstadt Dublin. In Greystones haben praktisch alle Kinder in ihrem Alter keine eigenen Smartphones mehr, seit die Vorsteherinnen mehrerer Primarschulen den Eltern vor eineinhalb Jahren vorgeschlagen hatten, ihren Kindern vor dem 12. Geburtstag keine eigenen Smartphones mehr zu kaufen.

Frau mit zwei Kindern auf einem Schulhof.
Legende: Die Mutter von Jane und Rachel, Christina Capatina (links), erzählt, dass die Kinder in Greystones nicht auf Handys angewiesen seien – denn die meisten Kinder würden ohnehin abgeholt werden von den Eltern oder Nannies. RTS

Die Kinder sollten in den Pausen und nach der Schule wieder miteinander spielen oder plaudern, statt auf ihre Handys zu starren und durch die sozialen Medien zu scrollen.

Was gilt in anderen europäischen Ländern?

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Irland ist ein Spezialfall mit seiner Verzichtsvereinbarung zwischen Eltern und Schulen. Die meisten anderen europäischen Länder setzen in Primar- und teilweise auch in Sekundarschulen auf Smartphone-Verbote.

In Italien waren Smartphones in Schulen gar nie toleriert worden: Die italienischen Behörden untersagten den Schülerinnen und Schülern das Mitbringen von Smartphones schon 2007, kaum war das erste Smartphone – Apples iPhone – erhältlich. Doch das Verbot sei nicht immer strikt umgesetzt worden, wie Euronews schreibt.

Auch in Albanien sind Smartphones bereits vor mehreren Jahren aus den Schulen verbannt worden. In Spanien geschah dies Anfang 2024.

Griechenland, Frankreich und Ungarn zogen im Spätsommer 2024 nach. Die Niederlande gehen noch einen Schritt weiter und haben zum Schuljahresbeginn auch Smartwatches, Tablets und andere elektronische Geräte aus den Klassenzimmern verbannt.

Ein landesweites Verbot bzw. Einschränkungen prüfen gegenwärtig auch Finnland und Belgien. Im Vereinigten Königreich sind parlamentarische Initiativen in Beratung, die ein landesweites Verbot erwirken wollen.

Einen dezentralen Ansatz verfolgen folgende Länder: In Deutschland, Polen, Dänemark, Portugal, Kroatien, dem Vereinigten Königreich und der Schweiz können Schulen und Schulbehörden autonom Smartphone-Nutzungen einschränken.

Eine klare Mehrheit der Eltern war sofort einverstanden, darunter auch Christina Capatina. «Die Kinder hatten bis zu diesem Zeitpunkt ein starkes Druckmittel. Sie sagten: ‹Mama, alle unsere Freundinnen haben Smartphones. Wir sind die einzigen ohne.›»

Smartphonefreie Kindheit

Schulleiterin Rachel Harper von der St Patrick’s National School hatte die Idee zum Verzicht. Sie überzeugte neben den Eltern ihrer Schule auch jene von sieben weiteren Primarschulen in der Umgebung von ihrem Plan. «Viele hatten anfänglich Angst, als bevormundende Eltern dazustehen. Doch inzwischen haben 96 Prozent der Eltern den Verzichtspakt unterschrieben. Das ist fantastisch.»

Frau in buntem Kleid sitzt an einem Schreibtisch.
Legende: Schulleiterin Rachel Harper freut sich über die Unterstützung der Eltern beim Smartphone-Verzicht. RTS

Den Schulen gehe es nicht darum, das Rad der Zeit zurückzudrehen, betont Harper: «Wir bereiten die Primarschülerinnen und -schüler gleichzeitig darauf vor, beim Übertritt in die Sekundarschule ein eigenes Smartphone zu bekommen – damit sie dann wissen, wie man sich in den sozialen Medien verhalten sollte.»

Einschränkungen in der Sekundarschule

Den freiwilligen Verzicht findet auch Irlands Bildungsministerin Norma Foley eine «Superidee». Sie will das Modell von Greystones aufs ganze Land ausweiten. «Alles deutet darauf hin, dass Kinder besser lernen und sich sozialer verhalten, wenn sie ihre Smartphones weglegen. Das stärkt ihre Beziehungen und verbessert ihr Lernumfeld in den Schulen.»

Unesco empfiehlt Smartphone-Verbot in Schulen

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Die UNO-Organisation für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation empfiehlt, Smartphones aus Schulen zu verbannen. Sie lenkten vom Unterricht ab und behinderten das Lernen. Die Unesco empfiehlt, die neuen Technologien in Schulen nur dann einzusetzen, wenn sie nachweislich einen Nutzen beim Lernen brächten.

Foley versucht die Smartphones auch aus den Sekundarschulen zu verbannen: Die Schülerinnen und Schüler müssen ihre Smartphones beim Eintreffen in der Schule in eigens dafür bereitgestellte Schliessfächer versorgen und dürfen die Smartphones erst vor dem Verlassen der Schulen wieder herausholen. In Pausen und am Mittag bleiben die Smartphones weggeschlossen, so will es die Bildungsministerin.

Es lockt das Smartphone der Eltern

Ganz ohne elektronische Geräte wachsen die Kinder in Irland dann doch nicht auf. Rachel und Jane zum Beispiel dürfen ihr Tablet zwei Stunden am Tag benützen. Oder ausnahmsweise auch ein Smartphone der Eltern.

Ihre Mutter sagt ganz offen: «Der Smartphone-Verzicht ist kein Wundermittel. Es gibt weiterhin Diskussionen über die Bildschirmzeit.» Noch müssen sich Jane und Rachel ein paar Jahre gedulden, bis sie eigene Smartphones bekommen.

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10v10, 16.12.2024, 21:50 Uhr

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