Ein Gericht in Hongkong hat 45 Demokratie-Aktivisten zu teilweise langen Haftstrafen verurteilt. Der Prozess gegen die Gruppe der «Hongkong 47» war der bislang grösste wegen angeblicher Verstösse gegen das umstrittene Sicherheitsgesetz. SRF-Korrespondent Samuel Emch ordnet ein.
Welches Signal wird ausgesendet?
Kritiker sagen, dass das Urteil die Rechtsstaatlichkeit in Hongkong untergräbt – etwas, das für diese Wirtschaftsmetropole sehr zentral ist. Und dass der Prozess und die Urteile den Griff Pekings auf diese Sonderverwaltungszone nochmals verstärken. Im Sommer – nachdem das Gericht die Schuldsprüche bekannt gegeben hatte, aber das Strafmass noch nicht klar war – sind mehrere Richterinnnen und Richter in Hongkong abgetreten. Es handelte sich dabei um ausländische Richter. Dies ist eine Eigenheit im Hongkonger Justizsystem. Einer dieser abgetretenen Richter schrieb in der «Financial Times», dass die Justiz in der Sonderverwaltungszone zunehmend politisiert werde. Sprich: die Unabhängigkeit verliere. Er nannte diesen Prozess als Beispiel dafür.
Was bedeutet dies für die demokratisch orientierten Kräfte in Hongkong?
Die Demokratiebewegung in Hongkong ist bereits weitgehend verstummt. Die Einführung des nationalen Sicherheitsgesetzes, das Peking Hongkong im Juni 2020 auferlegt hat, hat die Bewegung gelähmt. Dieses Gesetz ist vage formuliert – aber es drohen drakonische Strafen bis zu lebenslänglicher Haft, wenn man dagegen verstösst. Das Urteil, das nun basierend auf dieses Gesetz gefällt wurde, unterstreicht diese Entwicklung.
Wie gross ist der Einfluss Pekings auf die Urteile?
Die Regierung in Hongkong, die von Pekings Gnaden regiert, weist Vorwürfe zurück, dass sie Einfluss auf das Rechtssystem nehme. Sie sagt, die Justiz sei immer noch unabhängig. Kritik und Vorwürfe – wie sie der Richter in der «Financial Times» gemacht hat – werden zurückgewiesen. Dazu muss man festhalten, dass Peking seinen Griff nicht nur mit dem Sicherheitsgesetz, aber auch mit den Änderungen in Bezug auf die Parlamentswahlen in Hongkong und der Forderung nach sogenannt patriotischer Haltung der dortigen Politiker gefestigt hat. Damit wird auch die Justiz langsam beeinflusst – wie Beobachterinnen bemerken.
Warum war es für Peking wichtig, hier hart durchzugreifen?
Da müssen wir auf 2019 und die grossen Proteste in Hongkong zurückschauen. Damals hatte die Demokratiebewegung grossen Rückhalt in der Bevölkerung. Das war für Peking eine grosse Herausforderung – und bis zu einem gewissen Grad auch ein Schock. Das nationale Sicherheitsgesetz und die Durchsetzung dieser Regeln waren eine Reaktion darauf. Die Hongkonger Regierung sprach davon, dass man wieder Recht und Ordnung in der Sonderverwaltungszone herstellen wollte.
Wie wirkt sich die Tatsache auf das Leben der Menschen aus, dass die Demokratiebewegung verstummt ist?
Nicht nur die Demokratiebewegung ist verstummt. Auch viele zivilgesellschaftliche Organisationen, die sich nicht politisch äussern, aber soziale Anliegen haben, sind sehr zurückhaltend geworden oder haben sich aufgelöst. Dass man für Anliegen demonstriert, wird nun mehrheitlich unterbunden. Es gibt Beobachter, die von einer depressiven Stimmung in der Stadt reden. Andere sagen, dass Peking – jetzt wo es die völlige Kontrolle über Hongkong erlangt hat – den Griff etwas lockern und mehr zulassen könnte, damit die Zivilgesellschaft wieder aktiver wird. Bisher gibt es aber keine Anzeichen dafür.
Das Gespräch führte Vera Deragisch.