Sie kamen aus allen Ecken und Enden der Welt, die Gratulationen für Joe Biden zum Wahlsieg. Auffallend auch, aus welchen Ecken und Enden sie nicht kamen: Aus Russland etwa und vielen anderen autoritär regierten Ländern. Und aus manchen Hauptstädten kamen die Glückwünsche sehr spät, sehr nüchtern oder verdruckst. Nachvollziehbar ist, dass etlichen Diktatoren oder Regierungschefs mit autoritären Neigungen Trump nähersteht als Biden.
Immerhin: Die Glückwunschschreiben von Angela Merkel aus Berlin, von Emmanuel Macron aus Paris, von Ursula von der Leyen und Charles Michel aus EU-Brüssel oder von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg klangen ehrlich. Die Erleichterung war fast mit Händen zu greifen – von Bern bis Tokio, von Ottawa bis Madrid.
Erstaunlich war hingegen, dass so gut wie niemand das Verhalten des Wahlverlierers beanstandete. Seine Weigerung, das Ergebnis anzuerkennen, sein wochenlanger Widerstand, Hand zu bieten für einen reibungslosen Machtwechsel.
Weder demokratisch noch legitim
Gewiss: Es ist legitim, Nachzählungen zu verlangen, ein Wahlergebnis anzufechten. Aber seine Anhänger aufzuhetzen gegen den Nachfolger, von Ministern und Behörden zu verlangen, den Übergang zu behindern, dem neuen Präsidenten so viele Steine wie möglich in den Weg zu legen – all das ist weder demokratisch noch legitim. Und das hätten Staats- und Regierungschefs, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte hochhalten, scharf kritisieren müssen. Um damit Druck zu machen auf all die Republikaner, die Trump in seinem Tun bestärkten oder deckten.
Irritierend sind auch die Schmallippigkeit und Zögerlichkeit internationaler Organisationen. UNO-Generalsekretär Antonio Guterres ist gewiss kein Freund von Trump, doch auch von ihm war nicht die vorsichtigste Ermahnung zu hören. Einzig die OSZE, die Wahlbeobachter in die USA entsandt hatte, sagte zügig klipp und klar: Es gab keine systematischen Wahlmanipulationen.
Und es ist schon merkwürdig, dass sich etliche NGOs zwar in jüngster Zeit kritisch zu den Wahlen in Burma, Georgien oder Moldawien äusserten, jedoch zum Trumpschen Amoklauf nichts zu sagen hatten. Auffallende Ausnahme: Kenneth Roth, der Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Er wies allen demokratischen Regierungen eine Mitverantwortung zu und forderte, sie müssten sich engagieren.
Biden tritt mit schwerer Hypothek an
Doch offenkundig hat bei den Verantwortlichen in westlichen Ländern die Bereitschaft stark abgenommen, für Menschen- und Bürgerrechte zu kämpfen – was man etwa bei der China-Politik oder in UNO-Gremien immer öfter feststellt.
Nun: Der Schaden ist angerichtet. Je nach Umfrage sind es inzwischen gut 50 bis gegen 80 Prozent der Trump-Wähler, die Joe Biden nicht als ihren legitimen Präsidenten anerkennen. Das heisst: Trotz sechs Millionen mehr Stimmen als Trump tritt Biden mit einer schweren Hypothek an. Das geradezu ohrenbetäubende Schweigen westlicher, demokratischer Regierungschefs zu Trumps Verhalten ist daran mitschuldig.