Ex-Gouverneur Arnold Schwarzenegger verglich den Sturm aufs Kapitol mit der Reichspogromnacht in Deutschland 1938. Warum die NS-Zeit einmal mehr für Vergleiche herangezogen wird, erklärt Historiker Philipp Sarasin.
SRF News: Der Sturm aufs Capitol wurde mit der Reichspogromnacht verglichen. Warum gerade mit diesem Ereignis?
Philipp Sarasin: Ja, da kann man sich wirklich fragen. Ich finde diesen Vergleich vollkommen schief. Die Reichspogromnacht 1938 – es war übrigens nicht nur eine Nacht, die Attacke dauerte ein paar Tage – richtet sich gegen Jüdinnen und Juden. Es wurden 1400 oder noch mehr Synagogen und Bethäuser zerstört, 30’000 Jüdinnen und Juden in Konzentrationslager gesperrt. Viele kamen dabei um. Insofern ist der Vergleich komplett schief.
Man nimmt auf rechter Seite quasi Jüdinnen und Juden in ihrem Opferstatus als Vorbild für den eigenen Opferstatus.
Aber warum scheint gerade dieses Ereignis vielen passend?
Das ist schwer zu sagen. Auf der rechten Seite kann man beobachten, auch bei den Corona-Demonstrationen, dass man quasi Jüdinnen und Juden in ihrem Opferstatus als Vorbild für den eigenen Opferstatus nimmt. So in dem Sinn: Ich bin ebenso verfolgt wie damals die Juden oder wir werden ebenso ausgegrenzt. Das ist eine Form, sich als Opfer zu konstruieren. Warum es von liberaler Seite so gebraucht wird, ist mir schleierhaft. Es ist falsch. Aber vielleicht drückt es das Gefühl aus, das Ereignis sei ein Bruch, der in Zukunft Schlimmstes befürchten lässt. So kann man wenigstens verstehen, warum zu so drastischen Vergleichen gegriffen wird, auch wenn sie historisch falsch sind.
Der Vergleich mit der Reichspogromnacht löst vor allem in jüdischen Kreisen auch Empörung aus. Der Vergleich sei verharmlosend und deshalb unzulässig. Teilen Sie diese Meinung?
Der Vergleich ist historisch richtiggehend falsch. Falsche Vergleiche mit dem Nationalsozialismus haben immer auch den Effekt, das, was damals passiert ist, zu verharmlosen oder in eine Kontinuität von Geschichte einzuebnen.
Ich halte diese Vergleiche für eher problematisch.
Interessanter fand ich, dass Schwarzenegger von seinem Vater spricht, der betrunken nach Hause kommt und die Familie schlägt. Und dass der Sohn sagt: Das ist ein Effekt von jemandem, der bei diesem verbrecherischen Regime mitgemacht hat. Das fand ich eine sehr interessante, auch berührende persönliche Warnung.
Schwarzenegger setzt den Begriff in den Kontext seiner Herkunft. Verstärkt das die Verharmlosung nicht noch?
Ja, darüber kann man diskutieren, völlig klar. Aber immerhin ist es seine persönliche Erfahrung. Er sagt: Ich habe erlebt, was es aus Menschen macht, sich an so einem Verbrechen zu beteiligen. Es ist quasi eine Warnung an seine «Federal Republicans», nicht nach rechts abzudriften.
Aktuell werden z.B. die Internierungslager für Uiguren in China als Konzentrationslager bezeichnet oder unliebsame Politiker werden mit Hitler Konterfei abgebildet. Warum immer wieder die NS-Zeit?
Sie ist historisch noch nicht so lange zurück und es war eine moderne Gesellschaft, es war in Deutschland im 20. Jahrhundert. Das ist das eine. Andererseits gibt es unter Historikern auch ein sehr umstrittenes Sprechen darüber: Ist das ein neuer Faschismus? Will Trump quasi nach der Macht greifen wie Hitler? Ich halte diese Vergleiche für eher problematisch.
Es gibt ziemliche Unterschiede, obwohl die Gemeinsamkeiten auch klar sind: Führerkult, Abwertung der Presse und der Wissenschaft, Hass auf andere, Rassismus. Insofern kann man das heute einen neuen Faschismus nennen. Aber es ist nicht einfach die Verlängerung dessen, was in den 1930er Jahren in Deutschland passiert ist.
Das Gespräch führte Marlen Oehler.