- In der Türkei sind knapp 60 Millionen Wähler zu den Präsidenten- und Parlamentswahlen aufgeboten worden.
- Die Wahllokale sind nun geschlossen, nun geht es ans Auszählen.
- Amtsinhaber Erdogan ist als Favorit ins Rennen gestiegen. Eine absolute Mehrheit könnte er aber verfehlen.
- Der neue Präsident wird Staats- und Regierungschef und mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet. Das Amt des Ministerpräsidenten wird abgeschafft.
In der Türkei ist die Präsidenten- und Parlamentswahl beendet worden. Die Wahllokale schlossen um 16.00 Uhr MESZ. Prognosen auf der Grundlage von Nachwahlbefragungen gibt es in der Türkei nicht. Erste Ergebnisse werden am frühen Abend erwartet.
Die Opposition warnte im Vorfeld vor einer «Ein-Mann-Herrschaft» von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Die Verfassungsreform ist sein wichtigstes politisches Projekt. Umfragen zufolge ging Erdogan – der Vorsitzender der islamisch-konservativen AKP ist – als Favorit in die Präsidentenwahl. Eine absolute Mehrheit in der ersten Wahlrunde könnte er aber verfehlen. Dann müsste er am 8. Juli gegen den Zweitplatzierten in eine Stichwahl.
Erdogans AKP könnte absolute Mehrheit verlieren
Umfragen sahen den Kandidaten der grössten Oppositionspartei CHP, Muharrem Ince, auf dem zweiten Rang, gefolgt von Meral Aksener von der national-konservativen IYI-Partei und Selahattin Demirtas von der pro-kurdischen HDP. Demirtas sitzt seit November 2016 wegen Terrorvorwürfen in Untersuchungshaft. Insgesamt gibt es sechs Bewerber um das Präsidentenamt. Mit ersten Ergebnissen wird am späten Sonntagabend gerechnet.
Aus der Parlamentswahl dürfte das Wahlbündnis unter Führung von Erdogans AKP als stärkste Kraft hervorgehen. Sollte die pro-kurdische HDP allerdings den Sprung über die Zehnprozenthürde schaffen, könnte das AKP-Bündnis die absolute Mehrheit im Parlament verlieren.
Erdogan verwies bei seinen Wahlkampfveranstaltungen in Istanbul auf die Entwicklung des Landes in den vergangenen 16 Jahren AKP-Regierung. Er versprach, die Türkei werde unter seiner Führung unter die zehn meistentwickelten Länder der Welt aufsteigen. Erdogan hatte die ursprünglich für November 2019 geplanten Wahlen vorgezogen. Sie finden im Ausnahmezustand statt, den Erdogan nach dem Putschversuch vom Juli 2016 verhängt hatte und unter dem die Grundrechte eingeschränkt sind.
Opposition verspricht unabhängige Justiz
Die Opposition hat die Rückkehr zum parlamentarischen System versprochen. Dafür wäre allerdings eine erneute Verfassungsänderung notwendig. Die Opposition will ausserdem den Ausnahmezustand aufheben. Ince kündigte bei seiner letzten Wahlkampfrede vor Hunderttausenden Anhängern eine grundlegende Erneuerung des Landes an. «Morgen wird es eine ganz andere Türkei geben», sagte er am Samstag in Istanbul.
Ince versprach, die Justiz unabhängig zu machen und den Beitrittsprozess mit der EU voranzutreiben. Konsequenzen könnte ein Wahlerfolg Inces für die mehr als 3,5 Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei haben: Ince sagte, er wolle auf ihre Rückführung nach Syrien hinarbeiten.
Ince: Erdogan hat Angst
Der letzte grosse Auftritt Inces vor dem Wahlkampfende zog massenhaft Menschen an. Der Kandidat selber sprach von fünf Millionen Besuchern auf dem Versammlungsplatz in Maltepe. Augenzeugen hielten diese Zahl für zu hoch. Der Staatssender TRT berichtete trotz des Massenauflaufs nicht über den Auftritt, sondern schaltete zu Wahlkampfveranstaltungen Erdogans in Istanbul.
Ince nannte die regierungsnahen Medien in der Türkei «kriecherisch und parteiisch» und machte Erdogan dafür verantwortlich, dass sie seine Versammlung nicht übertrugen. «Wenn ein faschistischer Kopf wie Erdogan fünf Millionen sieht, dann sagt er, sie sollen nicht senden. Deshalb sagt er es, aus Angst, aus Angst!», rief Ince. «Das sind seine letzten Zuckungen!»