Die republikanisch-nationalistische Sinn-Féin-Partei ist nach den Wahlen stärkste politische Kraft im nordirischen Parlament. Sinn Féin besiegte damit die probritischen Unionisten, die Nordirland seit der Gründung vor über 100 Jahren führen. Der Sieg der Nationalisten ist historisch und symbolisch.
In Belfast explodieren keine Bomben mehr. Das Echo der blutigen Vergangenheit ist jedoch bis heute an jeder Ecke zu hören. Ein Vierteljahrhundert nach dem Friedensabkommen von Karfreitag ist Nordirland immer noch ein geteiltes Land. Der Brexit hat die alten Gräben wieder aufgerissen. Der Wahlsieg von Sinn Féin wird den politischen Alltag dabei nicht einfacher machen.
Unionisten sträuben sich
Die probritischen Unionisten konnten sich bis heute nicht darauf festlegen, ob sie künftig Teil der Regierung sind. Zuerst müsse das Nordirland-Protokoll beseitigt werden, sagte der Vorsitzende der grössten Unionisten-Partei (DUP) Sir Jeffrey Donaldson noch vor wenigen Tagen. Diese Weigerung ist mehr als ein trotziges Nebengeräusch. Im Karfreitagsabkommen von 1998 ist festgehalten, dass die beiden stärksten Parteien zusammen regieren müssen.
Die geteilte Macht zwischen Unionisten und Nationalisten ist so ausgelegt, dass die Regierungschefin nicht mehr Befugnisse hat als ihr Stellvertreter. «Der Nordirische Firstminister kann nicht einmal eine Pizza bestellen, ohne die Einwilligung seiner Stellvertreterin», beschrieb kürzlich der britische «Economist» leicht polemisch das ausbalancierte Regierungsmodell.
Mit der Weigerung der Unionisten wird die Regierung in Belfast deshalb faktisch handlungsunfähig. Das Nordirland-Protokoll wurde geschaffen, um nach dem Austritt Grossbritanniens aus der EU eine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland zu verhindern und so den fragilen Frieden auf der irischen Insel zu wahren. Durch die neu geschaffene Zollgrenze in der Irischen See fühlen sich die Unionisten jedoch vom Mutterland abgetrennt.
Hohe Arbeitslosigkeit, steigende Preise
Die Grenze mag eine Kränkung ihrer Identität darstellen, die realen Zumutungen des Alltags sind in Nordirland jedoch anders gelagert. Die Nordirinnen und Nordiren leiden – egal ob sie Katholiken oder Protestanten sind – unter steigenden Energie- und Lebensmittelpreisen. Ein Viertel der Bevölkerung ist arbeitslos. Nirgendwo in Grossbritannien sind die Wartelisten des staatlichen Gesundheitsdienstes (NHS) länger als in Nordirland. Bis ein Nordire eine Fachärztin konsultieren kann, dauert es im Durchschnitt ein Jahr. Dies sind die Herausforderungen, mit denen eine neue Regierung konfrontiert wäre.
Sinn Féin hat im Wahlkampf versprochen, sich genau um diese Probleme zu kümmern. Dies wird nicht ganz einfach sein, wenn die Unionisten die Mitarbeit verweigern und so die ganze nordirische Gesellschaft in eine lähmende Geiselhaft nehmen.