Wie lief der Gefangenenaustausch ab? Da alle Parteien einander misstrauen, musste nach der Einigung darüber, wer freikommt, ein von den Beteiligten akzeptierter Ort für die Übergabe der Gefangenen gefunden werden. Die Türkei ist Nato-Mitglied und hatte mit Russland auch schon schwierige Phasen, beispielsweise weil Moskau und Ankara im Syrien-Konflikt über Jahre auf unterschiedlichen Seiten standen. Zuletzt war aber eine Annäherung zu erkennen. Kremlchef Wladimir Putin traf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan Anfang Juli zu einem Gespräch am Rande des Gipfels der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. In Ankara landeten nacheinander die Flugzeuge mit den ehemaligen Gefangenen. Aufgrund der grossen Zahl seien die Freigelassenen vor ihrem Weiterflug jeweils an einen gesicherten Ort gebracht worden, teilte der türkische Geheimdienst MIT mit.
Hat der Zeitpunkt etwas mit dem US-Wahlkampf zu tun? Dass in den USA in drei Monaten die Präsidentschaftswahl ansteht, ist wohl ein wichtiger Faktor für das Timing. Die Vorbereitungen für einen Gefangenenaustausch, vor allem in dieser Grössenordnung, sind aufwendig und langwierig. Monatelange Geheimgespräche gingen voraus. Putin dürfte kein Interesse daran gehabt haben, die dabei erzielten Fortschritte aufs Spiel zu setzen für den Fall, dass der Republikaner Donald Trump zurück an die Macht kommen könnte. Trump hat angetönt, er würde rein gar nichts anbieten im Gegenzug für eine Freilassung inhaftierter Amerikaner.
Dass nun kurz vor Bidens Abschied aus dem Amt mehrere in Russland inhaftierte Amerikaner freikommen – darunter die beiden prominentesten Gefangenen, der Reporter Evan Gershkovich und Paul Whelan – ist für ihn ein grosser Erfolg und wird Teil seines politischen Vermächtnisses. Bidens Stellvertreterin Kamala Harris, die bei der Wahl im November gegen Trump antreten will, dürften die positiven Nachrichten wiederum in ihrem Wahlkampf helfen.
Was hat Kremlchef Putin von dem Austausch? Als ehemaliger Geheimdienstchef will Putin wohl zeigen, dass Russen, die im Ausland im Interesse Moskaus arbeiten, mit dem Gesetz in Konflikt kommen und in Haft landen, nicht vergessen werden. «Wir lassen unsere Leute nicht im Stich», lautet ein russischer Spruch. Der Kremlchef nahm den «Tiergartenmörder» wiederholt in Schutz. In Russland gilt Wadim Krassikow vielen als Held, weil er aus Sicht des Machtapparats den Tod Dutzender russischer Sicherheitskräfte gerächt hat. Schon einige Russen, denen Mord und andere schwere Taten im Ausland zur Last gelegt werden, haben nach Rückkehr in ihre Heimat Ehrungen und lukrative Posten erhalten.
Welche Bedeutung hat der Austausch für die internationalen Beziehungen? Trotz des beinahe kompletten Abbruchs der Beziehungen zwischen dem Westen und Russland als Folge des Ukraine-Kriegs hat es auch in der Vergangenheit etwa Kontakte wie zum Beispiel bei Gefangenenaustauschen gegeben. Der aus Russland geflohene Oppositionelle Dmitri Gudkow meinte, der Austausch sei ein erster Schritt hin zu Verhandlungen auch über einen Frieden in der Ukraine. Beide Seiten hätten den Krieg inzwischen satt. Sie hätten einander durch die Ruhe des Verhandlungsprozesses und das Dichthalten gezeigt, dass sie sich an Vereinbarungen hielten.