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Kritik an Gefangenenaustausch zwischen dem Westen und Russland
Aus Tagesschau vom 02.08.2024.
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Historisches Ereignis Die Hintergründe zum Gefangenenaustausch Russland-USA

Russland und der Westen haben Gefangene ausgetauscht, darunter US-Amerikaner, prominente Kremlgegner und der in Deutschland inhaftierte sogenannte Tiergartenmörder. Wichtige Fragen und Antworten rund um den Deal.

Wie lief der Gefangenenaustausch ab? Da alle Parteien einander misstrauen, musste nach der Einigung darüber, wer freikommt, ein von den Beteiligten akzeptierter Ort für die Übergabe der Gefangenen gefunden werden. Die Türkei ist Nato-Mitglied und hatte mit Russland auch schon schwierige Phasen, beispielsweise weil Moskau und Ankara im Syrien-Konflikt über Jahre auf unterschiedlichen Seiten standen. Zuletzt war aber eine Annäherung zu erkennen. Kremlchef Wladimir Putin traf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan Anfang Juli zu einem Gespräch am Rande des Gipfels der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit. In Ankara landeten nacheinander die Flugzeuge mit den ehemaligen Gefangenen. Aufgrund der grossen Zahl seien die Freigelassenen vor ihrem Weiterflug jeweils an einen gesicherten Ort gebracht worden, teilte der türkische Geheimdienst MIT mit.

Hat der Zeitpunkt etwas mit dem US-Wahlkampf zu tun? Dass in den USA in drei Monaten die Präsidentschaftswahl ansteht, ist wohl ein wichtiger Faktor für das Timing. Die Vorbereitungen für einen Gefangenenaustausch, vor allem in dieser Grössenordnung, sind aufwendig und langwierig. Monatelange Geheimgespräche gingen voraus. Putin dürfte kein Interesse daran gehabt haben, die dabei erzielten Fortschritte aufs Spiel zu setzen für den Fall, dass der Republikaner Donald Trump zurück an die Macht kommen könnte. Trump hat angetönt, er würde rein gar nichts anbieten im Gegenzug für eine Freilassung inhaftierter Amerikaner.

Dass nun kurz vor Bidens Abschied aus dem Amt mehrere in Russland inhaftierte Amerikaner freikommen – darunter die beiden prominentesten Gefangenen, der Reporter Evan Gershkovich und Paul Whelan – ist für ihn ein grosser Erfolg und wird Teil seines politischen Vermächtnisses. Bidens Stellvertreterin Kamala Harris, die bei der Wahl im November gegen Trump antreten will, dürften die positiven Nachrichten wiederum in ihrem Wahlkampf helfen.

Das sind die Freigelassenen

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Das sind die bekanntesten Inhaftierten, die heute freigekommen sind:

«Tiergartenmörder» Wadim Krassikow:Mehr als ein Jahr sass Krassikow im Berliner Kammergericht auf der Anklagebank. Am 15. Dezember 2021 verurteilten die Richter den Russen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe – für den Mord an einem Georgier am 23. August 2019 in der Berliner Parkanlage Kleiner Tiergarten. Die Auftraggeber für den Mord sassen nach Überzeugung des Gerichts in Russland.

Evan Gershkovich: Der 32 Jahre alte US-Reporter Evan Gershkovich wurde Mitte Juli in einem umstrittenen Prozess wegen angeblicher Spionage zu 16 Jahren strenger Lagerhaft verurteilt. Der Russland-Korrespondent des US-Magazins «Wall Street Journal» war Ende 2023 auf einer Reportage-Reise in Jekaterinburg am Ural vom russischen Geheimdienst FSB festgenommen worden. Ihm wurde zur Last gelegt, er habe geheime Informationen über Russlands Rüstungskomplex für US-Stellen gesammelt. Das «Wall Street Journal» wies das zurück. Gershkovich sei mit einer offiziellen Akkreditierung seiner Arbeit nachgegangen.

Paul Whelan: Der 54 Jahre alte ehemalige US-Soldat Paul Whelan wurde bereits im Juni 2020 von einem russischen Gericht wegen angeblicher Agententätigkeit zu 16 Jahren Straflager verurteilt. Davor hatte er rund anderthalb Jahre lang in Haft gesessen. Whelan, der mehrere Staatsbürgerschaften hat, soll nach Darstellung des FSB als Spion auf frischer Tat ertappt worden sein. Die US-Regierung forderte wiederholt die Freilassung Whelans, weil in dem Verfahren keine Beweise vorgelegt worden seien.

Rico K: Der 30 Jahre alte Deutsche wurde Ende Juni in Belarus zum Tode verurteilt. Der Vorwurf: Söldnertum und Terrorismus, angeblich hatte sich Rico K., Rettungssanitäter aus Hildesheim, vom ukrainischen Geheimdienst SBU als Söldner anwerben lassen. Da Belarus als letztes Land in Europa die Todesstrafe vollstreckt, war die Sorge auch im Auswärtigen Amt gross. Lukaschenko hob das Todesurteil gegen den Mann am Donnerstag vergangener Woche nach einer Unterredung mit Ermittlern und dem Anwalt auf.

Wladimir Kara-Mursa: Der 42-Jährige gehört zu den prominentesten Oppositionellen in Russland. Er war im April 2023 unter dem Vorwurf des Hochverrats zu 25 Jahren Lagerhaft verurteilt worden. Der beispiellose Richterspruch löste weltweit Entsetzen aus. Zuletzt waren die Sorgen um den seit langem gesundheitlich schwer angeschlagenen Politiker gross. Seinem Anwalt zufolge war Kara-Mursa im Juni für zunächst geplante sechs Monate in eine Zelle mit erschwerten Haftbedingungen verlegt worden.

Ilja Jaschin: Der 41-jährige Politiker gehört zu den schärfsten Kritikern von Kremlchef Wladimir Putin. Jaschin blieb in Russland, als viele andere Kremlgegner schon ins Ausland geflüchtet waren. Weil er den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine anprangerte und vor allem die Soldaten seiner Heimat für das Massaker an Zivilisten in Butscha in der Nähe der ukrainischen Hauptstadt Kiew verantwortlich machte, wurde er im Dezember 2022 wegen Verunglimpfung der Armee zu achteinhalb Jahren Straflager verurteilt

Oleg Orlow: Der 71-Jährige gehört zu den bekanntesten Menschenrechtlern und mutigsten Kämpfern für Gerechtigkeit in Russland. Auch der Mitgründer der mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Organisation Memorial wurde wegen Kritik an Putins Krieg zu Lagerhaft verurteilt, und zwar zu zweieinhalb Jahren.

Alsu Kurmasheva: Ein russisches Gericht verurteilte die US-amerikanische Journalistin Alsu Kurmasheva erst vor wenigen Tagen zu sechseinhalb Jahren Strafkolonie wegen angeblicher Falschmeldungen über die Armee. Anlass für das Urteil war ein von ihr im November 2022 veröffentlichtes Buch mit dem Titel «Nein zum Krieg. 40 Geschichten von Russen, die sich gegen die Invasion der Ukraine wehren», wie die russische Oppositionsplattform «meduza» mitteilte.

Freigelassen wurden auch weitere russische politische Gefangene, darunter die Künstlerin Alexandra Skotschilenko und die früheren Leiterinnen der Regionalstäbe des Kremlgegners Nawalny, Lilija Tschanyschewa aus Ufa und Xenia Fadejewa aus Tomsk. Auch der Nawalny-Mitarbeiter Wadim Ostanin kam in Freiheit. Alle sind Gegner des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und erhielten langjährige Strafen. Der Westen hatte die Urteile als Justizwillkür kritisiert und die Freilassung der Gefangenen gefordert. In Freiheit kam auch der 19 Jahre alte Deutsch-Russe Kevin L., der im Dezember 2023 wegen Landesverrats zu vier Jahren Haft verurteilt worden war.

In den russischen Straflagern sitzen auch nach dem Austausch weiter Dutzende politische Gefangene.

Was hat Kremlchef Putin von dem Austausch? Als ehemaliger Geheimdienstchef will Putin wohl zeigen, dass Russen, die im Ausland im Interesse Moskaus arbeiten, mit dem Gesetz in Konflikt kommen und in Haft landen, nicht vergessen werden. «Wir lassen unsere Leute nicht im Stich», lautet ein russischer Spruch. Der Kremlchef nahm den «Tiergartenmörder» wiederholt in Schutz. In Russland gilt Wadim Krassikow vielen als Held, weil er aus Sicht des Machtapparats den Tod Dutzender russischer Sicherheitskräfte gerächt hat. Schon einige Russen, denen Mord und andere schwere Taten im Ausland zur Last gelegt werden, haben nach Rückkehr in ihre Heimat Ehrungen und lukrative Posten erhalten.

Welche Bedeutung hat der Austausch für die internationalen Beziehungen? Trotz des beinahe kompletten Abbruchs der Beziehungen zwischen dem Westen und Russland als Folge des Ukraine-Kriegs hat es auch in der Vergangenheit etwa Kontakte wie zum Beispiel bei Gefangenenaustauschen gegeben. Der aus Russland geflohene Oppositionelle Dmitri Gudkow meinte, der Austausch sei ein erster Schritt hin zu Verhandlungen auch über einen Frieden in der Ukraine. Beide Seiten hätten den Krieg inzwischen satt. Sie hätten einander durch die Ruhe des Verhandlungsprozesses und das Dichthalten gezeigt, dass sie sich an Vereinbarungen hielten.

Tagesschau, 01.08.2024, 19:30 Uhr ; 

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