Bereits zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren verursachten Extremwetter in Deutschland menschliches Leid und Riesenschäden. Erst 2021 hatte eine Flut das Ahrtal in Rheinland-Pfalz im Nordwesten des Landes überschwemmt. Über 180 Menschen starben bei der zweitschwersten Katastrophe in Deutschland in den letzten 100 Jahren, der Wiederaufbau kostete rund 40 Milliarden Euro.
Aus der Ahrtal-Katastrophe habe man ganz viel gelernt, sagte heute Holger Schüttrumpf, Professor am Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der Universität Aachen. Allen voran die Frühwarnung laufe bedeutend besser. Damit könnten Todesopfer zumindest weitgehend vermieden werden. Ganz werde das nie möglich sein, wie die Ereignisse in den aktuellen Flutgebieten zeigten.
Nach Katastrophen herrscht nach einer gewissen Zeit wieder eine Art ‹Hochwasser-Demenz›, aus der erst das nächste Grossereignis wachrüttelt.
Im Jahr nach der Ahrtal-Überschwemmung wurden deutschlandweit über 370 Millionen Euro in den Hochwasserschutz investiert, so viel wie nie zuvor. Danach nahmen die Investitionen wieder ab. Laut Schüttrumpf tritt dann wie immer eine Art «Hochwasser-Demenz» ein. Aus dieser Phase würden die Menschen dann bei der nächsten Katastrophe wieder wachgerüttelt, obwohl bestehende Gefahrenzonen seit Jahrzehnten bekannt seien.
Deutschland sei aber zumindest in den 2021 von Hochwassern betroffenen Gebieten von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz daran, weitere Massnahmen zu planen, so der Wissenschaftler: «Sie sind aber noch nicht so weit gediehen, dass sie umgesetzt worden sind, zum Beispiel technische Massnahmen wie Hochwasserrückhaltebecken.»
Versäumnisse bei der Vorbereitung?
In der Tat brauchten die Massnahmen viel Zeit, stellt Schüttrumpf fest. Der Wille sei da, doch die Umsetzung dauere unglaublich lange. Als Gründe nennt er allgemeine Interessenskonflikte, den Denkmalschutz, Widerstände in der Bevölkerung und fehlende finanzielle Mittel. Das sorge dann bei einem nächsten Ereignis oft wieder für «Land unter».
Wir haben kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit.
Der Deutsche Wetterdienst schätzt, dass die Wahrscheinlichkeit für ein Starkregenereignis wie im Ahrtal 2021 aufgrund des Klimawandels neunmal höher ist als noch Ende des 19. Jahrhunderts.
Laut Schüttrumpf ist mit einer verbesserten Frühwarnung die vordringlichste Aufgabe erfüllt worden. Doch jetzt müssten die anderen Hochwasserschutzmassnahmen verbessert beziehungsweise auch rasch umgesetzt und nicht auf die lange Bank geschoben werden: «Wir haben kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Umsetzungsdefizit.»