Der lange vorbereitete Besuch des EU-Aussenbeauftragten Josep Borrell in Russland letzte Woche war zur grossen Peinlichkeit verkommen. Während des Besuchs wies Russland drei EU-Diplomaten aus. Die gemeinsame Medienkonferenz mit dem russischen Aussenminister war eine One-Man-Show von Sergej Lawrow.
Eine Rücktrittsforderung aus der EVP
Der ranghöchste EU-Diplomat und ehemalige Aussenminister Spaniens machte keine Werbung für ein erstarktes aussenpolitisches Selbstbewusstsein der EU. Josep Borrell müsse zurücktreten, hatten vor der Debatte im Parlament über 80 EU-Parlamentarierinnen und Parlamentarier in einem Brief gefordert. Unterschrieben haben in erster Linie Angehörige der Europäischen Volkspartei EVP.
Sozialdemokraten verteidigen Borrell
Die Fraktion der Sozialdemokraten hingegen stellte sich klar hinter ihr Mitglied Borrell. Moskau habe den Besuch von Borrell dazu missbraucht, die EU zu demütigen und anzugreifen, so die niederländische Sozialdemokratin Kati Piri.
Es gelte darum eine Debatte zu führen über die Antwort der EU gegenüber Russland, nichts anderes. Ablenken also von der Rolle des ranghöchsten EU-Diplomaten Borrell – das war die Taktik der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, Kritik abzuwenden.
Leisere Töne von der EVP in der Debatte
Die EVP hatte den Ton vor der Debatte bestimmt. Im Plenum waren von der gleichen Fraktion nur noch milde Worte zu hören. Vielleicht lag es daran, dass sich Kommissionspräsidentin von der Leyen, Mitglied der EVP, klar hinter Borrell stellte.
Etwas Kritik gab es trotzdem, vorgetragen von Michael Gahler, CDU Deutschland: Borrell sei zu leichtgläubig aufgetreten. Die Provokationen Lawrows seien absehbar gewesen: «Sie hätten die lange Liste der Verfehlungen Russlands auflisten müssen und Aussenminister Lawrow widersprechen», so Gahler.
Borrell: «Europas Vision hat sich nicht erfüllt»
Betont ruhig rapportierte Josepp Borrell von seiner Reise, der erste Besuch eines Hohen Vertreters der EU seit vier Jahren: «Europas Vision von einer Partnerschaft mit Russland hat sich nicht erfüllt.» Die russische Regierung habe den Weg eines autoritären Regimes eingeschlagen, das sei mehr als deutlich geworden, sagte Borrell. Die EU müsse entsprechend reagieren. Er wolle den EU-Staaten darum neue Sanktionen gegen Russland vorschlagen.
Zumindest in diesem Punkt kann Borrell auf die volle Unterstützung aus dem EU-Parlament zählen. Fast alle grossen Fraktionen forderten eine solche Antwort.
Grüner Appell an Berlin und Paris
Nicht ausreichend für den deutschen Grünen Sergey Lagodinsky: «Wir müssen über Sanktionen nachdenken und auch über den Stopp von Nord Stream 2. Das sage ich nicht nur an Ihre Adresse, sondern nach Berlin und Paris, denn da sind die Verantwortlichen.»
In zwei Wochen werden die EU-Aussenminister ein erstes Mal über Sanktionen zu befinden haben. Zwei Wochen später ist ein Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs angesetzt. Sanktionen gegen Russland können nur einstimmig beschlossen werden. Die EU-Staaten stehen in der Russland-Frage vor unangenehmen Entscheidungen.