Viktor Orban fühlt sich missverstanden. Er habe schon während des Kommunismus für die Rechte von Homosexuellen gekämpft, damals, als Homosexualität noch bestraft worden sei. Das sei Unsinn, sagt Luca Dudits von der Hatter Society, der grössten ungarischen Organisation, die sich für die Rechte von sexuellen Minderheiten einsetzt.
Homosexualität sei in Ungarn schon erlaubt gewesen, bevor Orban zur Welt kam. Und als Regierungschef habe er die Rechte von sexuellen Minderheiten eingeschränkt. Der jüngste Rückschritt in den Augen der Aktivistin: Das Verbot bei Kindern für Homosexualität und für Geschlechtsumwandlungen zu werben.
Was genau «Werbung für Homosexualität und für Geschlechtsumwandlungen» ist, bleibt vage. Welche Strafen drohen, genauso. Und doch richte das Gesetz viel Schaden an, sagt Dudits.
Viele vermuten hinter dem Gesetz der ungarischen Regierung wahltaktisches Kalkül: Die muslimischen Migranten, Orbans Lieblingsfeinde bei den letzten beiden Wahlen, hätten ausgedient. Orban habe einen neuen Sündenbock gebraucht und sich für sexuelle Minderheiten entschieden. Deshalb habe er auch eine Volksbefragung zum Thema auf den Wahltag Anfang April gelegt.
Sind Sie dafür, dass bei Kindern für Geschlechtsumwandlungen geworben wird?
Das seien Lügen, sagt Balacs Orban. Der 35-Jährige ist nicht mit Viktor Orban verwandt, aber er ist einer der wichtigsten Berater des ungarischen Regierungschefs. Das neue Gesetz richte sich nicht gegen Homosexuelle.
Er könne verstehen, dass es für sie unbequem sei, aber es sei wichtig, dass Ungaren sich in einer Volksbefragung entscheiden könnten, ob sie ihre Kinder «Genderpropaganda» aussetzen wollten. Er als Vater von zwei kleinen Kindern wünsche sich an den Schulen und in der Öffentlichkeit klare, heterosexuelle Rollenbilder.
Nun soll die Stimmbevölkerung entscheiden, wie viel sexuelle Aufklärung es an den Schulen geben soll und wie Kinder vor angeblich schädlichen Einflüssen geschützt werden könnten. Unter anderem sollen die Ungarinnen und Ungaren bei der Volksbefragung diese Frage beantworten: «Sind Sie dafür, dass bei Kindern für Geschlechtsumwandlungen geworben wird?»
Gegenfrage an den Berater des Regierungschefs: Wo gibt es in Ungarn solche Werbung? Sie sähen Zeichen, dass so etwas komme, sagt Balacs Orban. Dagegen wolle die Regierung frühzeitig Position beziehen.
Regierungschef Orban macht das auch, indem er Homosexualität in die Nähe von Pädophilie rückt. Ob Homosexuellenpropaganda zu Pädophilie führe oder nicht, sei eine grosse Debatte, behauptete er vor kurzem am ungarischen Staatsradio.
Wenn du jeden Tag hörst, wie eine Person des öffentlichen Lebens etwas Homophobes oder Transphobes sagt, hinterlässt das Wunden.
Solche Aussagen seien für nicht-heterosexuelle Jugendliche genauso schlimm wie das neue Gesetz, findet Dudits. «Wenn du jeden Tag hörst, wie eine Person des öffentlichen Lebens etwas Homophobes oder etwas Transphobes sagt, hinterlässt das Wunden.»
Proteste vor dem Parlament
Gleichzeitig hat die Debatte über den Umgang mit sexuellen Minderheiten viele Ungarinnen und Ungaren mobilisiert – unter anderem demonstrierten Tausende vor dem Parlament gegen das in ihren Augen homophobe Gesetz.
«Es war, als ob sich die Mehrheitsgesellschaft hinter uns geschart hätte», sagt Dudits. Die lesbische Aktivistin glaubt, das Gesetz gehe sogar Orbans Anhängern zu weit. «Das Verbot riecht nach staatlicher Zensur. Darauf reagieren in Ungarn mit seiner sozialistischen Vergangenheit viele allergisch.»
Das Resultat der Volksbefragung ist nicht verbindlich. Und doch hofft Dudits auf möglichst viele ungültige Stimmen. Sie empfiehlt, «Ja» und «Nein» anzukreuzen. Unsinnige Antworten auf unsinnige Fragen.