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Humanitäre Krise «Die Menschen im Gazastreifen leben wie ‹Zombies›»

Im Gazastreifen spitzt sich die Lage immer mehr zu: Zum einen hat die UNO nach der Bergung von mehreren getöteten Sanitätern schwere Vorwürfe gegen Israel erhoben. Zum anderen blockiert die israelische Armee weiterhin sämtliche Hilfslieferungen, weshalb im Gazastreifen nun das Brot ausgeht. Susanne Brunner über die katastrophale Lage.

Susanne Brunner

Leiterin Auslandredaktion

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Susanne Brunner war für SRF zwischen 2018 und 2022 als Korrespondentin im Nahen Osten tätig. Sie wuchs in Kanada, Schottland, Deutschland und in der Schweiz auf. In Ottawa studierte sie Journalismus. Bei Radio SRF war sie zuerst Redaktorin und Moderatorin bei SRF 3. Dann ging sie als Korrespondentin nach San Francisco und war nach ihrer Rückkehr Korrespondentin in der Westschweiz. Sie moderierte auch das «Tagesgespräch» von Radio SRF 1. Seit September 2022 ist sie Leiterin der Auslandredaktion von Radio SRF.

Hier finden Sie weitere Artikel von Susanne Brunner und Informationen zu ihrer Person.

SRF News: Was ist über die Versorgungslage in Gaza bekannt?

Susanne Brunner: Das UNO-Büro für die Koordination humanitärer Hilfe (OCHA) spricht von Kriegshandlungen im Gazastreifen, die ohne Rücksicht auf menschliches Leben ausgeführt werden – von allen Kriegsparteien. Im Gazastreifen fehlt es der Zivilbevölkerung an allem: an Nahrungsmitteln, an Medikamenten, an Blutkonserven, an der medizinischen Versorgung von Verwundeten, an Strom, an Wasser oder am Zugang zu Hygiene.

Krankheiten breiten sich aus – immer mehr Menschen werden auf immer kleinerem Raum zusammengepfercht.

Seit dem 2. März blockiert Israel sämtliche Hilfslieferungen in den Gazastreifen. Später drehte es auch die Stromzufuhr ins Küstengebiet ab. Welche Auswirkungen hat das auf die Zivilbevölkerung?

Sie findet kaum mehr Nahrungsmittel – und wenn, dann nur zu horrenden Preisen. Der Schriftsteller Akram Surani, mit dem ich in regelmässigem Kontakt stehe, schreibt auf Facebook ein Kriegstagebuch. Er beschreibt den Alltag der Menschen und auch seiner vierköpfigen Familie sehr genau: Es gibt kaum noch Mehl, um Brot zu backen. Wer Mehl hat, kann nicht backen, weil es keinen Strom gibt. Frisches Gemüse ist kaum noch auffindbar, und wenn es etwas Kochbares gibt, dann greifen viele auf ein Hand-Desinfektionsmittel in Gelee-Form zurück – das ist gut brennbar, und wirkt wie die Paste, die wir fürs Fondue anzünden.

Menschen.
Legende: Bewohner des Gazastreifens nach einem israelischen Luftschlag in Chan Yunis (13. April 2025). Reuters/Hatem Khaled

Trinkbares Wasser ist schwer auffindbar – ebenso Wasser, um sich zu reinigen. Ausserdem ist die Abwasserinfrastruktur weitgehend zerstört. Krankheiten breiten sich aus, vor allem auch, weil immer mehr Menschen auf immer kleinerem Raum zusammengepfercht werden.

Wie sieht es mit der medizinischen Versorgung im Gazastreifen aus?

Das christliche Al-Ahli Spital war das letzte funktionierende Spital im Norden des Gazastreifens. Israel behauptet, seine Streitkräfte hätten dieses bombardiert, weil sich daran eine Hamas-Kommandozentrale befunden habe. Die Hamas bestreitet das – der Ablauf der Behauptungen und der Dementi ist praktisch immer gleich. Leidtragende sind die vielen Verwundeten und Kranken. Bis auf einige Feldspitäler ist die Gesundheitsversorgung in Gaza damit praktisch zusammengebrochen.

Das Verhalten aller Kriegsparteien trägt zur katastrophalen Lage der Zivilbevölkerung bei.

Israel argumentiert, dass gemäss den Genfer Konventionen keine Verpflichtung bestehe, Hilfsgüter passieren zu lassen, wenn diese angeblich von Kriegsbeteiligten wie der Hamas abgezweigt würden. Wie trägt all das zur Verschärfung der Versorgungskrise in Gaza bei?

Das Verhalten aller Kriegsparteien trägt zur katastrophalen Lage der Zivilbevölkerung bei. Was diesen Krieg von anderen Kriegen unterscheidet: Hier ist eine Zivilbevölkerung von rund zwei Millionen Menschen Kriegshandlungen ausgesetzt, ohne die Möglichkeit aus dem sehr kleinen Gebiet, in dem dieser Krieg stattfindet, zu flüchten: Die Menschen leben «wie Zombies», wie es der Schriftsteller Akram Surani ausdrückt.

Das Gespräch führte Romana Kayser.

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SRF 4 News, 14.4.25, 7:50 Uhr ; 

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