Die Lage im Norden Syriens ist unübersichtlich. Die türkische Armee beschiesst und bombardiert kurdische Kämpfer, unter anderem in der strategisch wichtigen Grenzstadt Ras al-Ain. Aber türkische Truppen wollen auch nach Manbidsch – die Stadt, in der die syrische Armee inzwischen angekommen ist.
Die Sorge weltweit ist gross, dass sich der Krieg ausweiten könnte. Vielleicht sogar mit Konsequenzen für die Nato, da die Türkei ein Bündnispartner ist. Dabei geht fast vergessen, wie es der Zivilbevölkerung im umkämpften Gebiet geht.
Die Menschen bewegen sich zu Tausenden von der Kriegsfront weg Richtung Süden.
Etwas Aufklärung schaffen kann Crystal van Leeuwen. Sie ist Einsatzleiterin von Médecins sans Frontières (MSF) in Syrien und hält sich derzeit in Amsterdam auf. Sie warnt eindringlich vor dem nächsten humanitären Drama im Land.
Ärzte ohne Grenzen unterhält mehrere Standorte in der Konfliktregion. Die dort stationierten Mitarbeiter des Hilfswerks beobachten derzeit grosse Fluchtbewegungen in der Region Hasaka im Nordosten Syriens: «Die Menschen bewegen sich zu Tausenden von der Kriegsfront weg Richtung Süden», schildert van Leeuwen. Ein Spital sei regelrecht überrannt worden mit Kriegsverletzten, die Situation sei unberechenbar und volatil.
MSF muss Spital aufgeben
Laut neuesten Berichten hat die Türkei die Angriffe in der Region intensiviert. Dabei sollen auch Spitäler beschossen worden sein. Auch Mitarbeiter von MSF mussten aufgrund der Kriegshandlungen ihre Arbeit einstellen, sagt van Leeuwen: «In Tall Abjad, an der Grenze zur Türkei, mussten wir unser Spital aufgeben.» Die Stadt nahe der türkischen Grenzstadt Akcakale ist ein Hauptfokus der türkischen Offensive.
Wie die Lage jetzt vor Ort ist, kann die Einsatzleiterin von Ärzte ohne Grenzen nicht genau beurteilen. Aber: MSF sei seit Jahren in Tall Abjad präsent gewesen und habe die Menschen versorgt. «Es ist immer hart, einen Ort zu verlassen und den Menschen dort nicht mehr helfen zu können.» Doch auch die lokalen Mitarbeiter hätten sich dazu durchgerungen, die Stadt zu verlassen, um sich und ihre Familien in Sicherheit zu bringen.
Versorgung mit dem Allernötigsten
Zu den grössten Sorgen der humanitären Helfer gehört derzeit die Versorgung der Vertriebenen mit Trinkwasser und Medikamenten. Im Kriegsgebiet halten sich Menschen auf, die teils vor Jahren aus den Krisenherden in anderen Teilen des Landes geflüchtet sind. Nun wurden sie erneut vertrieben – gemeinsam mit den eigentlichen Bewohnern der Region.
«Leider haben wir nicht Zugang zu allen Geflüchteten», beklagt die Hilfswerksmitarbeiterin. In einem Fall gehe es vor allem um Frauen und Kinder. «Die Lage ist sehr besorgniserregend», zumal es sich sehr schwierig gestalte, überhaupt Hilfe zu leisten.
Tun, was möglich ist
Die MSF-Mitarbeiterin schildert ein sehr schwieriges Arbeitsumfeld, in dem die Helfer versuchen, eine rudimentäre Versorgung der Notleidenden sicherzustellen: «Da die Nächte in Syrien kalt sind, versuchen wir so weit möglich, die Menschen mit Decken zu versorgen, Wasserquellen zu erschliessen und Notvorräte abzugeben.»
Zu Berichten über Menschenrechtsverletzungen durch türkische Truppen sagt die Einsatzleiterin von MSF allgemein: «Das Risiko von Menschenrechtsverletzungen ist in jedem Konflikt gross.» Die Aufgabe der Helfer vor Ort sei nun: Die sich ständig verändernde Lage im Kriegsgebiet auswerten und entscheiden, wie den Menschen bestmöglich geholfen werden kann.