In Venezuela hat das Parlament unter Führung des selbsternannten Präsidenten Juan Guaidó den Notstand erklärt. Grund dafür ist der grossflächige Stromausfall, der seit Donnerstag weite Teile des Landes lahmlegt.
SRF News: Was bringt es, dass das venezolanische Parlament den Notstand ausgerufen hat?
Karen Naundorf: Das Parlament verspricht sich davon die Möglichkeit, humanitäre und technische Hilfe ins Land zu holen. Aber wenn man ehrlich ist, bringt der Notstand nichts, denn das Parlament, in dem die Opposition die Mehrheit hat, ist seiner Funktionen enthoben. Die Macht im Land hat nach wie vor Nicolás Maduro. Da können Guaidó und sein Parlament so viele Massnahmen beschliessen, wie sie wollen. Es gibt niemanden, der sie derzeit durchsetzen kann.
Gesundheitsorganisationen berichten von Toten in Spitälern, weil die Menschen auf Dialysen angewiesen wären.
Die Abgeordneten fordern, dass das Stromproblem von internationalen Experten gelöst werden solle. Ist auch das Makulatur?
Das ist eine gute Frage, denn Maduros Regierung wird kaum internationale Experten, die von der Opposition ausgewählt wurden, ins Land lassen. Das Stromnetz in Venezuela ist in einem desolaten Zustand. Dazu kommt, dass viele Fachkräfte das Land verlassen haben. Selbst wenn Maduro das als Problem anerkennen sollte und selbst Hilfe aus dem Ausland holen will, wäre es schwierig. Ihm fehlt dafür das Geld, unter anderem wegen der Sanktionen etwa der USA.
Maduro vermutet einen Sabotageakt.
Stromausfälle hat es früher schon ab und zu gegeben. Doch der jetzige ist der massivste. Warum ist das passiert?
Da gehen die Erklärungen weit auseinander. Guaidó gibt der Regierung von Maduro die Schuld. Der Grund seien Korruption und Misswirtschaft. Die Folge davon sei wiederum, dass das Stromnetz weder gewartet noch modernisiert worden sei. Konkret habe es ein Buschfeuer nahe einer Hochspannungsleitung gegeben. Daraufhin hätten sich Turbinen in einem Wasserkraftwerk abgeschaltet. Maduro hingegen vermutet einen Sabotageakt. Er will dafür Beweise vorlegen. Bis jetzt kennen wir diese nicht.
Teile des Landes sind noch von der Stromversorgung abgeschnitten. Es sind bereits Menschen gestorben. Wie schlimm ist die Lage?
Die ist tatsächlich schlimm, denn es geht nicht nur darum, dass das Licht weg bleibt. Wir sprechen über ein Land, in dem Nahrungsmittel ohnehin knapp sind. Wenn den Menschen das wenige, was sie haben, auch noch vergammelt, dann ist das eine Katastrophe.
Die humanitäre Situation ist kritisch und jeder Tag, den dieser Konflikt andauert, bedeutet für viele Menschen schlichtweg Hunger.
Immerhin haben sich die Menschen inzwischen in vielen Hochhäusern und Siedlungen zusammengeschlossen. Sie kochen zusammen. Sie machen nachts Patrouillen, um die Sicherheit zu garantieren, und helfen leicht Kranken und alleinstehenden Alten. Aber es fehlt an Trinkwasser, denn viele Tanks gerade in Hochhäusern füllen sich nicht, wenn der Strom wegbleibt. Gesundheitsorganisationen berichten von Toten in Spitälern, weil die Menschen auf Dialysen angewiesen wären. In den Leichenhäusern verwesen die Toten, denn dort fehlt der Strom für die Kühlung.
Was bedeutet das für die Machtverhältnisse in Venezuela?
Für den vergangenen Samstag hatten beide, Guaidó und Maduro, zu grossen Demonstrationen aufgerufen. Doch durch den Stromausfall kamen nur vergleichsweise wenige Menschen. Die meisten Venezolaner sind schlichtweg mit dem Überleben beschäftigt. Sie müssen Trinkwasser oder etwas zu essen besorgen. Zudem fährt in Caracas die U-Bahn nicht. Kurzfristig kann man sagen, der Stromausfall hat bisher Grossproteste eher vermieden als gefördert. Doch die Opposition baut darauf, dass die Wut gegen die Regierung wächst.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.