Die UNO hat zuletzt von einer Hungerkatastrophe im Gazastreifen gewarnt. Insbesondere im Norden verschlechtere sich die Situation zunehmend. ORF-Korrespondent Karim El-Gawhary in Kairo hatte vor wenigen Tagen Kontakt zu einem Familienvater, der mit seiner Frau und seinen beiden Kindern im Norden des Gazastreifens lebt.
SRF News: Wie geht es dieser Familie aktuell?
Karim El-Gawhary: Der Familienvater schickte mir Auszüge aus seinem Tagebuch. Ein Satz darin lautete «Die Träume sind abgetaucht und an deren Stelle ist das Leid und der Kummer getreten. Zwischen den Verwundeten, den Toten und Versehrten gibt es nur noch die Hoffnung, einfach zu überleben.» Der Vater sagte mir, dass es einen anderen Ausdruck als «katastrophal» für die aktuelle Situation – eine Mischung aus Angst, Hunger und Durst, gepaart mit einer totalen psychischen Erschöpfung – geben müsste.
Die UNO warnte vor einer Hungersnot im Norden des Gazastreifens, dort, wo die Familie lebt. Wie ernährt sie sich?
Die Familie stammt aus der Mittelklasse. Er ist ein Anwalt und die Familie lebt in einem Mittelklasse-Viertel. Die Mahlzeiten bestehen nun aus Kräutern und anderem saisonalem Grün wie wildem Mangold, manchmal ein paar Zitrusfrüchten.
Er sagte: Das ist nicht wirklich nahrhaft, aber es gibt uns das Gefühl, irgendetwas zu essen.
Das werde gekocht und komme auf den Teller, wie der Vater mir erzählte und er sagte: «Das ist nicht wirklich nahrhaft, aber es gibt uns das Gefühl, irgendetwas zu essen.»
Wenige Hilfslieferungen kommen in den Gazastreifen, beispielsweise durch die Luftwege. Helfen solche Aktionen der Familie tatsächlich?
Ihm persönlich helfen diese Aktionen nicht. Der Vater sagt, die Familie sei viel zu erschöpft, um dort hinzugehen, wo man diese Hilfslieferungen aus der Luft abwerfe. Der Vater habe nicht die Kraft, sich dort bei diesen vielen Menschen durchzusetzen.
Das Ersparte des Vaters ist weg und er hat seit Monaten kein Einkommen mehr. Einen Sack Mehl kann er sich nicht mehr leisten.
Manchmal seien einige dieser Hilfsgüter am nächsten Tag auf dem Markt zu finden, jedoch zu absolut horrenden Preisen. Zum Beispiel habe ein Sack Mehl früher umgerechnet zehn Dollar gekostet. Heute würden solche Mehlsäcke für 1000 Dollar verkauft. Das Ersparte des Vaters ist weg und er hat seit Monaten kein Einkommen mehr. Einen Sack Mehl kann er sich nicht mehr leisten.
Wie geht die Familie mit dieser Situation um?
Für die Eltern ist die Situation sehr schwierig. Der Vater beschrieb, dass die Kinder die ganze Nacht durch schreien würden, weil sie so hungrig seien. Er versuche dann irgendetwas zu finden, damit die Kinder schlafen könnten. Er sagt: «Manchmal wünsche ich mir, dass jemand den Gnadenschuss gibt.»
Neben dem Hunger sei Wasser ein weiteres Problem. Der Vater muss jeden Tag um die fünf Kilometer gehen bis zum nächsten Brunnen. Dies sei auch nicht ganz ungefährlich, sagt der Vater. Der Brunnen sei in der Nähe der israelischen Grenze und das Wasser sei verschmutzt und stinke.
Auch die medizinische Versorgung sei schwierig. Die Frau sei schwanger und komplett unterernährt, erzählte mir der Vater. Der Arzt habe ihr eine gesunde und angemessene Ernährung nahegelegt, was vollkommen illusorisch sei.
Das Gespräch führte Tim Eggimann.