Bereits vor dem Ukraine-Krieg galt das Gipfeltreffen, das am Dienstag in Madrid begonnen hat und bis Donnerstag dauert, als Meilenstein in der Geschichte der Nato. Zumal die 30 Mitgliedstaaten vor einem Jahr beschlossen hatten, am Madrid-Gipfel eine neue Langfriststrategie – Überschrift: «Nato 2030» – verabschieden zu wollen. Russlands Krieg gegen die Ukraine und die Spannungen des Westens mit China rücken das Treffen vollends ins Zentrum der Weltpolitik. Was steht auf der Tagesordnung?
«Nato 2030»: Bis zum Ukraine-Krieg befand sich die Nato in einer jahrzehntelangen Sinnkrise. Die Nato als Wertegemeinschaft, Weltpolizist – oder «hirntot», wie der französische Präsident Emmanuel Macron 2019 resümierte? Der Ukraine-Krieg hat der Sinnkrise ein unverhofftes Ende gesetzt. Die Nato ist für ihre Mitgliedstaaten wieder das, als was sie 1949 gegründet worden war: ein Verteidigungsbündnis, in dem sich im Kriegsfall alle gegenseitig beistehen wollen – mit Russland als Feindbild Nummer eins.
Umstritten ist, welche Rolle China in der «Nato 2030» spielen soll. Während manche Staaten China ebenso wie Russland als Feind betrachten, ist es für andere vor allem ein Wirtschaftspartner. Die Wortwahl im Strategiedokument wird mit Spannung erwartet.
Waffen für die Ukraine: Nach ihren anfänglichen Erfolgen im Abwehrkampf gegen Russland geraten die ukrainischen Streitkräfte immer mehr unter Druck. Nur mit mehr Waffen und Munition kann es ihnen gelingen, den russischen Vormarsch zu stoppen. Doch während die USA, Grossbritannien und Polen bereits grosse Mengen geliefert haben und noch mehr liefern wollen, sind andere Nato-Staaten zurückhaltend. Angesichts steigender Energie- und Lebensmittelpreise droht die Unterstützung europäischer Nato-Staaten für die Ukraine zu schwinden.
Aufrüstung im Osten: Viele Nato-Staaten fürchten, Russland könnte nach der Ukraine auch Ex-Sowjetrepubliken überfallen, die mittlerweile zu Nato gehören, etwa Litauen oder Estland. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat bereits vor dem Madrid-Gipfel angekündigt, dass die Nato die Eingreifkräfte von 40’000 auf 300’000 erhöhen wolle. Das heisst konkret, dass die Nato – die keine eigenen Truppen hat – rascher auf mehr Kräfte ihrer Mitglieder zurückgreifen könnte.
Zudem sollen die Kräfte bestimmten Gebieten zugeordnet werden. Deutsche Soldatinnen und Soldaten würden zum Beispiel dafür eingeplant, litauische Truppen im Fall eines russischen Angriffs zu unterstützen. Dennoch bleibt die Verteidigungsfähigkeit der Nato hinter den Wünschen ihrer osteuropäischen Mitglieder zurück.
Beitritt von Schweden und Finnland: Mit dem Krieg gegen die Ukraine hat Russland bewirkt, dass Schweden und Finnland ihre Neutralität gegen eine Nato-Mitgliedschaft eintauschen wollen. Doch der Nato-Staat Türkei hatte die Nato-Norderweiterung bislang via Vetorecht blockiert. Am Dienstag konnte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Madrid nach einem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sowie dem Präsidenten Finnlands und der schwedischen Ministerpräsidentin schliesslich aufatmen. Man habe nun eine Vereinbarung, die den Weg freimache für Schwedens und Finnlands Nato-Beitritt, erklärte er.