In Russland ist ein Mitarbeiter einer Schweizer Nichtregierungsorganisation am Freitag angeklagt worden. Dem Franzosen wird vorgeworfen, systematisch Informationen über die russische Armee gesammelt zu haben. Informationen, die die Staatssicherheit gefährden. Der Mann war am Donnerstag festgenommen worden. Er arbeitet für das «Centre for Humanitarian Dialogue», wie die NGO mitteilt. Die Organisation hat ihren Sitz in Genf. In welchem Zusammenhang diese Verhaftung mit den derzeitigen Beziehungen zu Russland steht, erklärt SRF-Russland-Korrespondent Calum MacKenzie.
Der verhaftete Franzose arbeitet für eine Schweizer NGO. Welche Rolle spielt das?
Auf Frankreich und auf die Schweiz ist Russland gerade nicht so gut zu sprechen. Frankreich spricht ja davon, eigene Truppen in die Ukraine zu schicken. Die Schweiz organisiert die Ukraine-Konferenz auf dem Bürgenstock und Russland behauptet schon lange, die Schweiz habe mit den Sanktionen gegen Russland ihre Neutralität komplett aufgegeben. Es ist noch zu früh, um zu sagen, ob das wirklich eine Rolle spielt. Sicher löst die Verhaftung eher bei der französischen als bei der Schweizer Vertretung in Moskau Unbehagen aus, weil es sich um einen französischen Staatsbürger handelt.
Was steckt hinter solchen Verhaftungen von Ausländerinnen und Ausländern?
Teilweise sind die Vorwürfe eher dubios, beispielsweise der Fall des Wall-Street-Journal-Reporters Evan Gershkovich, dem Spionage vorgeworfen wird, aber der allem Anschein nach einfach seiner journalistischen Arbeit nachging. Und teilweise ist was dran an den Vorwürfen. Die amerikanische Basketballerin Brittney Griner ist 2022 mit Cannabis als Arzneimittel im Gepäck in Russland eingereist, was in Russland nicht erlaubt ist.
Was viele dieser Fälle gemeinsam haben, ist, dass Russland versucht, einen aussenpolitischen Nutzen aus diesen Verhaftungen zu ziehen. Griner wurde zu einer sehr langen Haftstrafe verurteilt, 9 Jahre im Gefängnis. Normalerweise kriegt man in Russland für die Menge an Cannabis, die sie dabeihatte, etwa 15 Tage Haft. Schliesslich wurde sie gegen den russischen Waffenhändler Viktor Bout freigetauscht, der in den USA im Gefängnis war. Im Fall Gershkovich hat Wladimir Putin auch angetönt, dass man zu einem Tausch bereit sein könnte. Ob die Vorwürfe fingiert sind oder nicht, Russland sieht in der Verhaftung von Ausländern einen Hebel, den es gegen andere Länder einsetzen kann.
Inwiefern haben solche Festnahmen seit Kriegsausbruch zugenommen?
In den letzten Monaten gab es eine Handvoll solcher Fälle. Aber solche Festnahmen gab es auch schon vor dem Krieg. Und es gibt Leute, etwa US-Amerikaner, die seit Jahren in Russland im Gefängnis sitzen, obwohl sie ihre Heimatstaaten für unschuldig halten und sie zurückwollen. Seit dem Krieg gab es prominentere Fälle. Insbesondere Gershkovich und Griner sind sehr ungewöhnliche Fälle, bei denen es viel klarer war, dass Russland gewisse Hintergedanken hat, gewisse Ziele verfolgt. Ich denke, inzwischen ist davon auszugehen, dass Russland jeden verhafteten Europäer oder Amerikaner als potenziellen Pfand sieht oder als Druckmittel.