Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Ukraine stehen die umliegenden Gebiete vor grossen Problemen. Das einstige Reservoir diente als Trinkwasserquelle für viele Ortschaften. Sie müssen nun neue Lösungen finden. Dabei unterstützt Yvonne Müller. Die Wasseringenieurin steht seit rund einem Jahr für das Schweizerisches Korps für Humanitäre Hilfe (SKH) in der Ukraine im Einsatz.
SRF News: Sie waren kürzlich im Gebiet rund um den Kachowka-Staudamm. Wie ist die Situation?
Yvonne Müller: Oberhalb des Staudamms ist das Problem, dass die Wasserversorgung abgeschnitten ist, weil der Wasserspiegel des Stausees sehr tief ist. Dort geht es jetzt darum, Wasser für die Trinkwasserversorgung zur Verfügung zu stellen. Letzte Woche haben wir 31 Tanks geliefert und diese werden jetzt gefüllt, um die Wasserversorgung zu überbrücken. Unterhalb des Staudamms, wo die Überflutungen sind, geht es darum, das Gebiet wieder bewohnbar zu machen.
Für die Behörden ist es eine extreme Herausforderung, eine alternative Lösung für die Wasserversorgung zu finden.
Was sind die grössten Probleme nach der Zerstörung des Staudamms?
Oberhalb des Staudamms ist ein grosses Gebiet abhängig von dem gestauten Wasser. Wir sprechen momentan von zirka 250'000 Menschen. Wenn die Stadt Krywyj Rih auch noch betroffen ist, dann kommt noch mal eine halbe Million Menschen dazu. Für die Behörden ist es eine extreme Herausforderung, eine alternative Lösung für die Wasserversorgung zu finden. Die humanitäre Hilfe der Schweiz unterstützt jetzt bei diesen Abklärungen
Welche Probleme stellen sich unterhalb des Staudamms?
Landminen sind eine der grössten Herausforderungen. Wir wussten, dass da Minen sind. Die sind jetzt irgendwo verteilt. Das andere Problem sind die Überschwemmungen; Landwirtschaftsflächen, Häuser, Infrastrukturen sind durch Schlamm und Schmutz beschädigt. Das macht Renovationen nötig und das bedeutet einen grossen Aufwand. Das Gebiet ist auch nahe der Frontlinie. Auf der anderen Seite des Flusses sind die russisch besetzten Gebiete. Das überflutete Gebiet ist also mitten im Kriegsgebiet. Das sind schwierige Verhältnisse, um Arbeiten durchzuführen.
Zur russisch besetzten Seite haben wir keinen Zugang.
Wie wirkt sich das auf ihren Einsatz aus?
Dank der Sicherheitsvorkehrungen und einer von der Schweizer Botschaft in der Ukraine durchgeführten Risikoanalyse sind wir in der Lage, in diese Region zu reisen. Aber die Situation ist sehr volatil und kann von Stunde zu Stunde wechseln. Da müssen wir flexibel sein und unsere Pläne anpassen. Wenn geschossen wird, dann haben wir nicht viel Zeit, uns zu bewegen.
Wie sieht ihr Zugang im betroffenen Gebiet aus?
Im Gebiet, das die Ukraine hält, können wir uns – sofern es die Sicherheitslage zulässt – frei bewegen. Zur russisch besetzten Seite haben wir keinen Zugang. Schon seit Februar besteht keine Kommunikation mehr. Das Gebiet ist gleich stark betroffen wie die Westseite des Flusses. Wir haben jedoch sehr wenige Informationen, was das für die Bevölkerung bedeutet und was die Behörden dort leisten.
Sobald sich das Wasser im Oblast Cherson zurückzieht, werden wir, wenn möglich, ins Gebiet zurückkehren.
Wie arbeiten Sie mit den ukrainischen Behörden zusammen?
Die Zusammenarbeit ist sehr eng. Die lokalen Wasserversorger sind ein wichtiger Partner. Vor Ort schaue ich mit ihnen, was repariert werden muss, wo wir unterstützen können mit Material oder etwa neuen Konzepten für Pumpstationen.
Welche weiteren Einsätze stehen für Sie an?
Sobald sich das Wasser im Oblast Cherson zurückzieht, werden wir, wenn möglich, ins Gebiet zurückkehren. Dann schauen wir, wo wir in den Bereichen Trinkwasserversorgung und Abwasser unterstützen können. Oberhalb des Staudamms kommen für die Trinkwasserversorgung Bohrungen oder aber das Anzapfen von anderem Flusswasser in Frage. Das befindet sich jetzt in Abklärung mit den Behörden und den lokalen Wasserversorgern.
Das Gespräch führte Omar Zeroual.