Im Vorfeld des heute Freitag im slowakischen Bratislava beginnenden EU-Gipfels hatte es bereits kritische Stimmen zur Gemeinschaft und ihrer Repräsentanten gegeben.
«Doppelzüngiger Diskurs»
Rumäniens Staatspräsident Klaus Iohannis etwa hatte die «Doppelzüngigkeit» mancher EU-Politiker angeprangert und diese für wachsenden Extremismus in Europa verantwortlich gemacht.
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Etliche Politiker von EU-Staaten würden zwar in Brüssel die EU loben, sagte Iohannes im Fernsehen. Nachher zu Hause würden sie aber genau diesem Brüssel die Schuld für eigene Versäumnisse zuschieben, monierte er ohne Namen zu nennen. Dieser «doppelzüngige Diskurs» fördere nur die EU-Skepsis und extremistische Parteien. «So geht es nicht», konstatierte Iohannis. Europas Politiker müssten in dieser Hinsicht ihre «Kommunikation» ändern.
«Absolut ehrliche Analyse»
Wenn sich die 27 EU-Regierungschefs ohne Grossbritannien also heute versammeln, könne man dies auch mit einer gruppentherapeutischen Sitzung vergleichen, schmunzeln Politik-Analysten.
Dass sich die Gemeinschaft «zweifelsohne in einer historischen Krise» befindet, stellt auch SRF-Korrespondent Oliver Washington fest. Er zitiert EU-Ratspräsident Donald Tusk, der bei seiner gestrigen Ankunft am Gipfelort eine «nüchterne und absolut ehrliche Analyse der aktuellen Krise» versprochen hatte – und gleichzeitig «ein optimistisches Szenario für die Zukunft» in Aussicht stellte: Die sogenannte «Bratislava Road-map».
Viele Menschen hätten im Gefolge des Flüchtlingschaos 2015 «das Vertrauen in die EU verloren», stellt Tusk fest. Ein solches Chaos solle sich nie mehr wiederholen. Hier und beim Kampf gegen den Terror möchte Tusk primär ansetzen, berichtet SRF-Korrespondent Washington weiter.
Junckers Arbeitsprogramm
Nach dem Brexit-Schock war man bereits Ende Juni in Brüssel kurz zusammengekommen, um sich zu vergewissern, dass man überhaupt zusammen weiter machen will. Nun soll bis Ende März 2017 geklärt werden, wie das funktionieren kann.
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat dafür eine Art Arbeitsprogramm vorgelegt. Und im Hintergrund haben vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande die Fäden gezogen, um den Zusammenhalt der 27 verbleibenden EU-Staaten zu sichern. In Bratislava werden im Rahmen der nun verordneten EU-Therapie keine Beschlüsse fallen, aber eben die grossen Linien diskutiert.
Eckpfeiler der Agenda
Die europäische Familie soll sich jetzt nach Meinung vieler Beobachter beim Krisengespräch einig darüber werden, was man überhaupt will. Merkel, Hollande und der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi skizzierten dies im Juli schon vor: Eine besser funktionierende Union in den Bereichen innere und äussere Sicherheit, Wachstum sowie mehr Perspektiven für die in vielen Ländern von Arbeitslosigkeit geplagte Jugend.
Überraschungen sind kaum zu erwarten: Juncker hat bereits eine Verlängerung und Verdopplung des EU-Investitionsplan angekündigt. Der gemeinsame Grenzschutz soll ausgebaut und Ein- und Ausreisedaten im gemeinsamen Schengenraum sollen erfasst und mit anderen Datenbanken vernetzt werden. EU-Bürger sollen sich nach den Wirtschaftseinbrüchen der vergangenen Jahren, der Flüchtlingskrise 2015 und der Bedrohung durch Extremistenmilizen wie den IS wieder sicherer fühlen.
Glaube an einen «guten Tag»
Die Agenda von Bratislava solle die Hoffnungen und Wünsche der Menschen aufnehmen, müsse aber zugleich realistisch sein. «Am Schluss überzeugen die Bürgerinnen und Bürger vor allem Taten», so Merkel. «Ich glaube, dass wir die Chance haben, einen guten Tag für Europa im Sinne dieser Agenda für Bratislava zu erleben», ergänzte die Kanzlerin.
Zwar gab es viele öffentliche Forderungen von einer Lockerung der Defizitkriterien bis hin zur Schaffung einer europäischen Armee. Aber wirkliche Vorbereitungspapiere für Bratislava legten nur Deutschland und Frankreich vor. «Irgendwie ist es bei der alten Erwartung geblieben, dass Deutschland und Frankreich es richten sollen», sagte ein EU-Diplomat. Diese Erwartung sei nach der Brexit-Entscheidung sogar gestiegen. Erneuten Streit über eine Quotenverteilung in der Flüchtlingspolitik will man in Bratislava nach Möglichkeit vermeiden.
Dass ausführlich über den Umgang mit Grossbritannien geredet wird, erwartet niemand. Solange London nicht sagt, wie es sich sein Verhältnis zur EU künftig vorstellt, mache es wenig Sinn, über eine gemeinsame EU-Haltung nachzudenken, heisst es in Brüssel und Berlin. Aber Hollande warnte, die Krise Europas nach dem Ausstiegsbeschluss Grossbritanniens könne existenziell werden.