Die Staats- und Regierungschefs aus allen 28 EU-Ländern haben in Brüssel mit dem türkischen Regierungschef Ahmet Davutoglu einen gemeinsamen Aktionsplan zur Flüchtlingskrise auf den Weg gebracht.
Die EU zahlt der Türkei drei Milliarden Euro für die gut zwei Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei. Zudem werden Gespräche zum visafreien Reisen und die Beitrittsverhandlungen der Türkei zur EU beschleunigt. Ankara sichert zu, heimische Küsten besser zu schützen und effektiver gegen Schlepper vorzugehen. Dadurch soll der Zustrom von Flüchtlingen aus Ländern wie Syrien eingedämmt werden. Künftig soll es zweimal im Jahr ein EU-Gipfeltreffen mit der Türkei geben – es ist aber noch offen, in welchem Format.
Einmalige oder periodische Zahlung?
Im vorbereiteten Aktionsplan ist aber noch offen, in welchem Zeitraum die drei Milliarden in die Türkei fliessen sollen. Die Türkei tritt dem Vernehmen nach dafür ein, dass die drei Milliarden Euro jährlich gezahlt werden. Es ist aber noch unklar, wie die Lastenteilung unter den 28 EU-Staaten geregelt wird
Merkel: Mehr Unterstützung für die Türkel
Dieser Ansicht ist offenbar auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie sagte, die Türkei habe bislang wenig internationale Unterstützung bekommen.
Die Türkei erwartet mit Recht, dass die EU sie entlastet.
Beim Aktionsplan gehe es nämlich in erster Linie und die Verbesserung der Lebenssituation der rund zwei Millionen Flüchtlinge, die in der Türkei lebten: «Bei den drei Milliarden Euro, die der Türkei in Aussicht gestellt wurden, geht es ausschliesslich um die Finanzierung von Flüchtlingsprojekten, um die Gesundheit und Bildung von 900‘000 Kindern», sagte Merkel vor den Medien in Brüssel (Video).
Zudem soll damit erreicht werden, dass sich weniger Menschen auf die Flucht begeben und damit auch um den Kampf gegen illegale Integration und gegen Schlepper.
Weiter wurde bei den Verhandlungen zur Visafreiheit beschlossen, diesen Prozess zu beschleunigen. Im Gegenzug soll die Rückübernahme von Drittstaatsangehörigen die aus der EU kommen seitens der Türkei verbessert werden.
Schliesslich wurden über engere Beziehungen im wirtschaftlichen Bereich gesprochen, namentlich bei der Zollunion und der Zusammenarbeit im Energiebereich, fasste Merkel den EU-Gipfel mit der Türkei zusammen.
Die Bedingungen vor Ort verbessern
Für SRF-Korrespondent Sebastian Ramspeck kann der Deal funktionieren, wenn beide Seiten auch wirklich das halten, was sie heute versprochen haben. Ausserdem habe das Abkommen viele Elemente die unbestritten sind. Zum Beispiel, dass die EU nun deutlich mehr Geld ausgebe, um die Hilfe vor Ort zu leisten und damit helfe, die oft miserablen Bedingungen in den türkischen Flüchtlingslagern zu verbessern.
Für den Korrespondenten Ramspeck stellt sich bei der Vereinbarung die Frage, ob die EU diese überhaupt mit der Türkei hätte aushandeln dürfen. Gerade bei Menschenrechsfragen oder auch bei der Kooperation der Türkei im Syrienkrieg werde Ankara scharf kritisiert – insbesondere aus Europa. Es sei klar geworden, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs die Augen vor diesen Themen verschlossen und pure Realpolitik betrieben hätten. «Denn das Wasser in der Flüchtlingsfrage steht ihnen bis zum Hals.»
Auch im Interesse der Flüchtlinge
Dennoch ist es für Europa äusserst wichtig, dass die Türkei den Transit von Flüchtlingen in Richtung Europa eindämmt. Dies strich auch Frankreichs Präsident François Hollande heraus. Er betonte dabei, dass es auch im Interesse der Flüchtlinge sein müsse, wenn sie so nah wie möglich an ihrer Heimat blieben.
Sichtlich zufrieden war der türkische Regierungschef.
Heute ist ein historischer Tag, um unserem Beitrittsprozess zur EU neuen Schwung zu verleihen, aber auch um über Spannungen und die jüngsten Ereignisse in Europa zu beraten.
Inbesondere mit der Visafreiheit für seine Bürger in der EU ist für Davutoglu ein Prestige-Erfolg. Diese soll eingeführt werden, wenn die Türkei die europäischen Wünsche erfüllt. Bisher benötigen fast alle Türken für Reisen in die EU ein Visum. Der Prozess zur Liberalisierung läuft zwar schon länger, die abschliessende Entscheidung dürfte nun aber im Herbst 2016 fallen.
Türkei am längeren Hebel?
Die Türkei kann in der jetzigen Situation tatsächlich der EU Bedingugnen diktieren oder zumindest formulieren, meint SRF-Korrespondent Oliver Washington. «Die EU hat lange wenig Interesse an der Türkei gezeigt. Das hat sich dramatisch geändert, man ist heute auf die Türkei angewiesen. Aber umgekehrt ist auch sie auf die EU angwiesen, denn die Türkei hat grosses Interesse daran, die Beziehungen zu intensivieren, etwa in wirtschaftlichen Fragen oder im Bereich der Energie. Deshalb kann die Türkei nicht nur Bedingungen stellen, sie muss auch auf die EU zugehen.»