Die Pläne der EU für den Gipfel mit der Türkei sind bekannt: Die Regierung in Ankara soll Hunderttausende zusätzliche Syrer in Lagern unterbringen und so von der Reise nach Europa abhalten. Schon jetzt leben mehr als 2,2 Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei. Im Gegenzug soll es von der EU unter anderem finanzielle Hilfen und Visaerleichterungen für türkische Bürger geben. Im Land am Bosporus kommt dieser Tauschhandel aber nicht gut an.
Auf den Strassen der Metropole Istanbul finden viele den Plan Flüchtlinge gegen Visaerleichterungen aufzuwiegen geschmacklos und unethisch. Kritik kommt aber auch aus der offiziellen Politik.
Brüssel mildert den Ton gegenüber der Erdogan-Regierung
Oppositionschef Kemal Kilicdaroglu kritisierte schon mehrfach, dass sich der Ton der EU gegenüber der Türkei deutlich gemildert habe, seit sie im Flüchtlingsthema auf die Regierung in Ankara angewiesen sei. Als am Donnerstag zwei berühmte türkische Journalisten verhaftet wurden, weil sie angeblich Staatsgeheimnisse veröffentlicht hatten, war von Brüssel leisere Kritik zu hören als üblich.
Türkei als Konzentrationslager
Für Kilicdaroglu passt es ebenfalls nicht zusammen, dass die Türkei noch mehr Flüchtlinge aufnehmen und dafür von der EU finanziell entschädigt werden soll. Er fragt provokativ: «Soll die Türkei vielleicht zu deren Konzentrationslager werden?»
Solche drastischen Vergleiche sind in der Türkei in diesen Tagen keine Seltenheit und sie kommen nicht nur von der Opposition. Auch in der Regierungspartei AKP gibt es Zweifel an der Zusammenarbeit mit Brüssel. Der Abgeordnete Ömer Celik findet es absolut inakzeptabel, dass man die Türkei als Instrument zur Friedenssicherheit in Europa und nicht als gleichwertigen Partner sehe.
Drastische Vergleiche
«Die Türkei kann niemals nur eine Pufferzone für andere sein. Es ist eine ganz und gar falsche Herangehensweise, die Wiederbelebung der Beziehungen mit der EU auf das Flüchtlingsthema zu reduzieren», sagt Celik.
Pufferzone, Gefängnis, Konzentrationslager der EU: Wie schon so oft in den vergangenen Jahren kratzt das Verhalten Brüssels am Selbstwertgefühl der Türken. Dass Ministerpräsident Davutoglu unter diesen Umständen morgen trotzdem nach Brüssel reist, mag da überraschen. Tatsächlich aber, so der Istanbuler Politikwissenschaftler Fuat Keyman, bleibt ihr angesichts der jüngsten politischen Entwicklungen kaum eine andere Wahl.
Die Türkei braucht eine starke Schulter
Besonders durch den jüngsten Streit mit Russland und die russischen Attacken in Syrien rücke die Türkei wieder näher an Europa heran. «Sie braucht jetzt eine starke Schulter, an die sie sich anlehnen kann, um nicht völlig isoliert zu werden», sagt Keyman.
Unter diesen Bedingungen erscheint die Wiederbelebung der türkisch-europäischen Beziehungen in einem anderen Licht.