SRF: Wie stark ist die nationale Einheit in Frankreich nach dem Anschlag auf das Magazin «Charlie Hebdo»?
Daniela Schwarzer: Was in den Medien zu sehen war, ist die Solidarisierung mit den Überlebenden der Redaktion von «Charlie Hebdo» auf den Strassen. Tausende Franzosen sind für Pressefreiheit und Demokratie demonstrieren gegangen. Ebenso in ganz Europa: Das ist ein sehr schönes Zeichen, dass hier eine Einheit und ein ganz grosser Wertekonsens besteht. Auch Frankreichs Staatspräsident François Hollande ruft zur nationalen Einheit auf. Er möchte die führenden Persönlichkeiten der grossen Parteien treffen. Bislang sind auch die Reaktionen der Parteien, die nicht an der Regierung beteiligt sind, sehr solidarisch. Im Moment versucht noch keiner, politisches Kapital daraus zu schlagen.
Hollande versucht also, alle politischen Kräfte zu bündeln. Macht der rechtspopulistische Front National da mit?
Das ist die grosse Frage. Zunächst einmal muss man sich vor Augen führen, wie stark der rechtspopulistische Front National in Frankreich ist. Die Partei ist sowohl aus den Europawahlen im vergangenen Mai als auch aus den Lokalwahlen einige Wochen zuvor als stimmenstärkste Partei hervorgegangen. Das bedeutet, wir haben es hier mit einer politischen Kraft zu tun, die in Frankreich Gewicht hat, auch wenn sie nicht an der Regierung beteiligt ist. Der FN hat nun eine schwere Aufgabe vor sich. Auf der einen Seite hat Parteichefin Marine Le Pen gestern Abend ganz klar gesagt, sie setze sich für Pressefreiheit ein. Sie hat den Anschlag verurteilt. Aber gleichzeitig polarisiert sie schon seit langem extrem. Die französische Gesellschaft muss gemäss ihrer Rhethorik homogen sein. Sie hat sich mit zum Teil harten Worten gegen Islamisierung und Islamismus ausgesprochen. Nun stellt sich die Frage, wie sie sich verhalten wird – und ob Hollande ihr die Hand reichen will.
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Politisch gesehen dürfte der Anschlag dem Front National aber in die Hände spielen...
Wenn es Marine Le Pen gelingt – was natürlich tragisch wäre – aus dieser Situation Kapital für ihre ausländerfeindlichen Thesen zu schlagen, dann kann das den FN stärken. Es kann aber auch dazu führen, dass Frankreichs Gesellschaft sich die Frage stellt, wohin das Land eigentlich gerutscht ist. Denn schon mit Nicolas Sarkozy, der bis 2012 Präsident war, war jemand an der Macht, der eher einen nationalistischen Ton hinsichtlich Themen wie Migration angeschlagen hat. Das heisst, insgesamt steht meiner Meinung nach die französische Gesellschaft vor der Herausforderung, ihr Verhältnis zu Moslems – das sind sechs Millionen in Frankreich – zu überdenken. Wie ist diese religiöse Gruppe in die Gesellschaft integriert? Das ist eine Frage, die das Land besonders seit den Unruhen in den Vorstädten vor einigen Jahren sehr stark bewegt. Diese wird jetzt neu gestellt werden müssen.
Was bedeutet das für den Front National?
Für den Front National bedeutet das natürlich eine Chance, weiter zu polarisieren. Aber ich denke, es wird von den gemässigten Parteien und von der konservativen Opposition sehr gemässigte Töne geben. Sie werden versuchen, eine weitere Polarisierung zu verhindern.
Das Gespräch führte Miriam Knecht.