Beim Angriff auf das Spital in Aleppo sind in der Nacht auf Donnerstag laut Médecins Sans Frontières (MSF) mindestens 14 Menschen ums Leben gekommen. Fragen an Bruno Jochum, Generaldirektor von MSF Schweiz. Die Organisation unterstützt das betroffene Spital seit vier Jahren.
SRF News: Wurde das Spital in Aleppo gezielt angegriffen?
Bruno Jochum: Das Spital wurde bei einem Luftangriff getroffen und komplett zerstört. Wir können nicht beurteilen, ob es Absicht war, aber Luftschläge sind normalerweise präzis, und in den letzten Jahren sind in Syrien Dutzende von Spitälern angegriffen worden. Es scheint ein absichtliches Muster zu geben.
Vor allem in Syrien oder auch sonst wo?
In Syrien ist die Lage besonders schlimm. MSF unterstützt in Syrien ungefähr 150 Spitäler und Gesundheitszentren. Von 70 medizinischen Einrichtungen, die wir unterstützen, wurden letztes Jahr deren 63 angegriffen. 12 wurden komplett zerstört. Seit Januar ist nun bereits das 7. oder 8. MSF-Spital von Bomben getroffen worden.
Mit tödlichen Folgen?
Oft mit tödlichen Folgen. Im laufenden Jahr sind in den von uns unterstützten Spitälern bereits 42 Mitarbeiter umgekommen – der jüngste Angriff von Aleppo noch nicht mitgezählt.
Haben die gezielten Angriffe zugenommen?
Im Oktober wurde in Kundus im Norden von Afghanistan ein Spital von MSF bombardiert. Auch in Jemen wurden mehrere Spitäler von Luftschlägen getroffen. Schreckliche Vorfälle gab es aber auch im Südsudan, wo mehrere Spitäler zerstört und Patienten in ihren Betten getötet wurden. Wir können nicht Jahrzehnte zurückverfolgen, wie sich die Zahl solcher Angriffe entwickelt hat. Aber wir können sagen, dass es jetzt eine ausserordentliche Serie von Angriffen gibt. Und das ist absolut skandalös.
Ist das Kriegstaktik?
In vielen Zusammenhängen sind die Angriffe sicher zur Kriegstaktik geworden, damit Menschen keine medizinische Versorgung mehr bekommen. In Syrien etwa passiert es, dass in umkämpften Gebieten medizinische Hilfsgüter aus den Konvois genommen werden. Wir beobachten auch, dass Länder oder Konfliktparteien Verwundeten jegliche medizinische Hilfe verweigern
Was kann gegen solche Angriffe getan werden?
Ein Arzt macht keinen Unterschied, egal zu welcher Kriegspartei oder Gruppe ein Patient gehört. Dieser fundamentale Grundsatz wird derzeit in Frage gestellt. Wir müssen erreichen, dass sich Länder und Konfliktparteien wieder an den Grundsatz halten: Der Arzt Deines Feindes ist nicht Dein Feind. Auch ist es notwendig, dass solche Angriffe öffentlich bekannt und von unabhängigen Instanzen untersucht werden.
Die UNO verurteilt solche Angriffe jeweils scharf. Reicht das?
Nächste Woche wird der UNO-Sicherheitsrat hoffentlich eine Resolution zu diesem Thema verabschieden. Wir hoffen, dass die Mitglieder die Chancen nutzen und eine Botschaft aussenden, was in Kriegen erträglich und was nicht erträglich ist: Eine solche Resolution ist ein Mittel, um mit den verschiedenen Konfliktparteien zu verhandeln und darum wichtig. Aber wir müssen auch die Öffentlichkeit mobilisieren und so Druck auf Regierungen und Staaten machen. Im Sinne, dass ein bestimmtes Benehmen im Krieg einfach nicht tolerierbar ist und dass es für medizinische Helfer legitim ist, ihre Arbeit zu machen, ohne dass sie zum Ziel werden.
Das Interview führte Simone Weber.