Die Ankunft auf Lesbos
15 junge und auch ältere Leute aus den unterschiedlichsten Ländern sitzen um ein Feuer am Strand von Lesbos. Die Spanier, Norweger, Iraker und Schweizerinnen feiern hier keine Strandparty – sie helfen Flüchtlingen, aus den Booten auszusteigen, wenn sie den Strand erreichen.
«Sie könnten doch in einem Flugzeug sitzen»
«Wir sind zwar hier, verstehen aber die Situation nicht, wieso die Menschen so etwas durchmachen müssen. Dabei könnten sie doch in einem Flugzeug sitzen und direkt nach England, Deutschland oder in die Schweiz fliegen», sagt die Schweizerin Francesca Drosi. Manche Flüchtlinge würden bei der Ankunft auf Lesbos jubeln, andere begännen sogleich zu beten.
Tamara Wulschläger ergänzt: Viele Ankömmlinge weinten, andere seien ganz einfach still. Vor allem die Kinder seien oft apathisch und erschöpft. Sie frage sich dann, welche Bilder sie wohl im Kopf hätten – von ihrer langen Reise, der Flucht, dem Krieg. Und dabei sei der Weg bis zum Ziel in Westeuropa noch lang: «Sie wissen gar nicht, was noch auf sie zukommt. Auch das macht mich traurig», sagt sie.
Überfahrt während der Nacht
Es ist ziemlich kalt, aber das Feuer spendet Wärme und Licht, denn es ist Nacht. Die meisten Boote verlassen die türkische Küste bei Dunkelheit, so sind sie für die türkische Küstenwache weniger gut sichtbar. Die Flüchtlinge kommen dann in den frühen Morgenstunden auf Lesbos an. Das Meer in dieser Nacht ist ruhig. Es geht ein konstanter Wind, deshalb rechnen die Helfer nicht mit vielen Booten.
Es dauert denn auch bis zum Morgengrauen, bis plötzlich eine gewisse Hektik ausbricht – ein Boot mit Flüchtlingen nähert sich. «Ich kann es von blossem Auge sehen», sagt die dritte Schweizerin Tringa Cerkini.
Ankunft per SMS angekündigt
Weitere Freiwillige haben an der Küste von Lesbos noch andere solche Empfangspunkte eingerichtet. Sie stehen in intensivem Kontakt miteinander, wie auch mit Freiwilligen an der türkischen Küste. Diese melden sich, wenn dort ein Boot abgefahren ist. Selbst Flüchtlinge auf den Booten melden sich oftmals per SMS, um sich anzukündigen. So hat sich auch dieses Boot per Handy-Botschaft bei den Helfern auf Lesbos gemeldet: «Wir wissen aber noch nicht, wo genau das Boot ankommt», erklärt Tringa. Wenn das dann klar sei, würden alle dorthin aufbrechen, um die Flüchtlinge an der Küste in Empfang zu nehmen.
Das Boot steuert einen Punkt einige hundert Meter weiter südlich an. Die Freiwilligen steigen in die Autos, um dorthin zu fahren. Sie legen am Strand Wolldecken aus, und machen sich parat. Kaum hat das Boot den Sandstrand erreicht, springen die ersten Flüchtlinge heraus. Das ist ziemlich gefährlich, das Boot könnte kippen, und Babys, die auch mit dabei sind, könnten ins Wasser fallen.
Deshalb müssen zuerst die Babys und Kinder an Land gebracht werden, erst dann die Erwachsenen. Tamara kümmert sich um einen neunjährigen Knaben: «Er war an den Beinen und Füssen durchnässt, deshalb habe ich ihm trockene Hosen und Socken angezogen. Jetzt wickle ich ihn in eine Decke ein.»
Männer nehmen den Motor mit – Sie bringen ihn in die Türkei
Unterdessen ist auch das UNHCR eingetroffen. Das UNO-Flüchtlingshilfswerk bringt die Flüchtlinge unmittelbar nach deren Ankunft in den sogenannten Hotspot, wo sie sich registrieren lassen müssen.
Die Freiwilligen räumen die Sachen wieder zusammen, um das nächste Boot in Empfang zu nehmen. Kaum sind sie fertig, tauchen einige eher obskure Männer auf. Sie haben die Szenerie aus der Ferne die ganze Zeit schon beobachtet. Nun nehmen sie das Boot auseinander und schrauben den Motor ab. Sie werden ihn wieder in die Türkei transportieren – für ein nächstes Flüchtlingsboot.