Das Sprichwort geht so: «Ein guter Ruf ist besser als ein schönes Gesicht». Die Redensart stammt aus China und sagt vielleicht einiges über die Verlässlichkeit von Chinas Wachstumszahlen.
Das Land, das noch vor dreissig Jahren nur mit seiner schieren Einwohnerzahl die Menschen beeindruckte, hat sich zu einem globalen Player gemausert. Gemäss Angaben der Weltbank hat China im Jahr 2013 fast die Hälfte des globalen Wachstums generiert.
Von Äthiopien bis Venezuela – made in China
Doch dem flächenmässig drittgrössten Land der Welt sind seine eigenen Grenzen längst zu eng geworden: In den nächsten zehn Jahren plant das Land Investitionen von einer Viertel Billion Dollar in Lateinamerika zu tätigen. Und in Afrika ist China schon seit Längerem der grösste Investor. Die Liste ist nicht abschliessend. Auch in Griechenland und Osteuropa streckt das Riesenreich seine Fühler aus.
Doch im Inneren des Landes blähen sich an vielen Stellen die Probleme auf. Das Stichwort heisst Überkapazitäten. Chinas Gemeinden und Kommunen leiden unter einer massiven Verschuldung. Ende 2015 sollen in China 264 zum Teil hochmoderne Flughäfen in Betrieb sein. Aktuell befinden sich in China fast 20'000 Kilometer Geleise für Hochgeschwindigkeitszüge. Der bekannte Wirtschaftswissenschaftler Larry Lang spricht in diesem Zusammenhang davon, dass in chinesischen Provinzen dramatische Parallelen zu Griechenland bestünden.
China bald nicht mehr Niedriglohnland
In den glitzernden Städten hat sich das Durchschnittseinkommen in den letzten 15 Jahren verachtfacht, von 1000 auf 8000 Dollar. China steht damit im stärker werdenden Konkurrenzdruck mit anderen Billiglohnländern.
Entsprechen seine jährlichen Wachstumsraten von mindestens 7 Prozent nun tatsächlich der Wirklichkeit? Reto Lipp, SRF-Wirtschaftsredaktor, begegnet solchen Zahlen mit Skepsis: «Ich halte die Zahlenbasis -– wie viele Ökonomen – für nicht über jeden Zweifel erhaben. China ist eine stark gelenkte Marktwirtschaft, wo der Staat einen grossen Einfluss hat. Ob Bürokraten nicht manchmal auch Anreize haben, Ergebnisse oder Fakten etwas zu beschönigen, weiss niemand wirklich.»
Schmummeln zahlt sich aus
Doch welchen Nutzen verspricht sich China bei solch geschönten Zahlen? Das oben zitierte Sprichwort mit dem guten Ruf kann helfen, China zu verstehen. Reto Lipp: «Die Wirtschaft wird immer noch zum grossen Teil über Fünfjahrespläne gelenkt – da hat man natürlich als Politiker oder Bürokrat schon das Interesse, die Zahlen dahingehend zu beschönigen, dass der Fünfjahresplan auch eingehalten und erreicht worden ist. Da kann es schon vorkommen, dass man mal schummelt. Wer will schon zugeben, dass er das Ziel nicht erreicht hat? Das ist für die Karriere vieler Chefs sicher nicht gerade förderlich.»
Ein zweiter Grund liegt bei den ausländischen Unternehmern. So lange Chinas Wirtschaft brummt, werden auch Direktinvestitionen getätigt.
Staatliches Amt für Statistik der Volksrepublik China
Für die Berechnung der Wachstumszahlen zuständig ist das Staatliche Amt für Statistik der Volksrepublik China. Die Behörde erfasst die ökonomischen Kennzahlen und untersteht direkt dem Staatsrat der Volksrepublik China. Dieses kleine Gremium ist sozusagen der Nukleus der gesamtchinesischen Staatsverwaltung. Im inneren Kabinett dieses verschwiegenen Kreises sitzen nur sechs Mitglieder, darunter der Ministerpräsident.