Der aus dem Straflager freigelassene russische Regierungskritiker Michail Chodorkowski ist zum ersten Mal vor die Medien getreten. Die Fotografen umkreisten Chodorkowsi – eine Sprecherin musste immer wieder beschwichtigen. Die Medienkonferenz konnte erst mit mehreren Minuten Verspätung beginnen.
Auf die Journalisten-Fragen antwortete der 50-Jährige vorsichtig. Als erstes bedankte er sich bei allen, die sich an seiner Freilassung beteiligt hatten. «Ich bin sehr dankbar für die Unterstützung von meinen Freunden, meinen Geschäftspartnern und vor allem meiner Familie. Und die Unterstützung von Hans-Dietrich Genscher. Er hat zur heutigen Situation geführt. Ich habe heute erfahren, dass auch Angela Merkel eine wichtige Rolle gespielt hat, und ich danke ihr dafür.»
Dank auch an die Schweiz
Auf die Beteiligung der Schweiz an seiner Freilassung angesprochen sagte Chodorkowski: «Es gab immer wieder Schweizer Behörden, die auf juristischer Grundlage zur Erkenntnis gekommen sind, dass der Yukos-Fall politisch motiviert ist. Andererseits hat die Schweiz immer wieder gesagt, dass sie nie bereit sein wird, russichen politischen Einrichtungen zu helfen.»
Ein Schweizer Abgeordneter habe ihn während seiner Haft besucht und mit der Gefängnisleitung gesprochen. Dies habe dazu geführt, dass diejenigen in den Lagern, die versucht hätten, sein Leben noch mehr zu verschlechtern, dies dann unterlassen hätten.
Ob er jemals nach Russland zurückgehen wird, weiss Chodorkowski nicht. Er könne jederzeit zurück, sagt er. Doch er wisse nicht, ob er das Land dann noch einmal verlassen könne. Er glaube, dass sich Kremlchef Wladimir Putin mit der Begnadigung auch deshalb leichtgetan habe, weil er direkt nach Deutschland ausgereist sei. Medienspekulationen, wonach er in der Schweiz wohnen wolle, wollte Chodorkowski nicht beantworten.
Weiter hoffe er, dass der ukrainische Präsident Putins Beispiel folgen werde und auch Julia Timoschenko freilasse. Überhaupt gebe es viel zu viele unschuldige Gefangene, auch in Russland, die aus politischen Gründen eingesperrt seien. Zum Thema Geld erklärte Chodorkowski, dass er nicht mehr arbeiten müsse.
Und wie soll der Westen mit Präsident Putin umgehen? «Nun, es wäre ziemlich arrogant von mir, erfahrenen westlichen Politikern zu erklären, wie sie sich gegenüber einem schwierigen Präsidenten verhalten sollen», sagte Chodorkowski. Er hoffe einfach, sie seien sich bewusst, dass er nicht der letzte politische Gefangene gewesen sei in Russland.
«Das Wichtigste ist Freiheit»
Auch zu den Olympischen Spielen in Sotschi äusserte sich der Regierungskritiker. Er sprach sich gegen ein Boykott der Spiele aus. «Es ist eine Feier des Sports – dies feiern Millionen. Man sollte die Freude von Millionen nicht ruinieren.» Zugleich äusserte er die Hoffnung, dass Kremlchef Wladimir Putin das Ringespektakel nicht zu einem «persönlichen Fest für sich» mache.
Schon vor der Medienkonferenz gab Chodorkowski ein Interview. Demnach will er nicht in die Politik gehen. Zwar seien an seine Begnadigung keine Bedingungen geknüpft, sagte Chodorkowski dem russischen Magazin «The New Times».
Er habe jedoch Präsident Wladimir Putin in einem Brief erklärt, dass er weder politisch tätig werden noch um eine Rückgabe seiner Anteile an dem zerschlagenen Ölkonzern Yukos kämpfen wolle, ergänzte er. Er wolle der russischen Opposition auch kein Geld geben. «Das Wichtigste ist jetzt: Freiheit, Freiheit, Freiheit», betonte er. Zudem wolle er sich um die Gesellschaft kümmern, an einem Machtspiel mit Putin sei er nicht interessiert.
Seine Frau lebt in der Schweiz
Über die weiteren Pläne des einst reichsten Mannes Russlands ist sonst nichts bekannt. Chodorkowski hat ein Visum, das ihn dazu berechtigt, ein Jahr in Deutschland zu bleiben. Chodorkowskis Frau Inna lebt in der Schweiz. Das Paar hat gemeinsame Kinder. Der älteste Sohn Pawel stammt aus seiner ersten Ehe.
Putin hatte Chodorkowski am Freitag in einem spektakulären Schritt aus humanitären Gründen begnadigt. Seine Mutter ist seit längerem an Krebs erkrankt. Nach seiner Freilassung aus einem russischen Straflager reiste er gleich nach Berlin, wo er am Samstag auch seine Eltern und seinen ältesten Sohn in die Arme schliessen konnte.
SRF-Korrespondent Christof Franzen hat die Medienkonferenz via Livestream mitverfolgt. «Ich glaube, er wird diese Aura einer geläuterten moralischen Autorität in der Freiheit ein Stück weit weiterleben können, vor allem im Westen oder bei liberalen russischen Kreisen», sagte Franzen.
Eines dürfe man aber nicht vergessen: «Einer Mehrheit der Russinnen und Russen ist sein Schicksal schlicht egal, weil sie in ihm nach wie vor den Geschäftsmann sehen, der sich in den 1990er-Jahren bereichert haben soll, während die meisten Menschen in Armut lebten.»
In zwei international umstrittenen Verfahren war der Unternehmer unter anderem wegen Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Öldiebstahls verurteilt worden. Regulär wäre seine mehrfach reduzierte Haftzeit im August 2014 zu Ende gewesen.