18 Grad und sonnig. Das ist die einzige gute Nachricht an diesem Nachmittag in Nikosia. Eigentlich ist das die einzige Nachricht. Denn der Nachmittag zieht sich hin – zähflüssig.
Alles wartet auf Nachrichten von Präsident Nikos Anastasiadis aus Brüssel. Aber der meldet sich nicht. Er lässt etwas ausrichten, von seinem Sprecher: Er habe eine sehr schwierige Aufgabe. Es gibt wohl niemanden in Zypern, der ihm das nicht glaubt. Aber es gibt nicht mehr viele, die ihm uneingeschränkt vertrauen. Das Vertrauen habe die Regierung verspielt, hört man immer wieder: «Zuviel Hin und Her. Zu viele Versprechungen. Zu viele gebrochene Versprechen.»
Das ganze Zentrum ist wie ausgestorben
Die Makarios Avenue ist die Bahnhofstrasse von Nikosia. Die Strassencafés haben geöffnet, aber sie bleiben leer. Das ganze Zentrum ist wie ausgestorben. Am Samstag sah das nicht anders aus, obwohl da auch die Geschäfte der Einkaufsmeile geöffnet hatten. Wenn man dann ein Geschäft betrat, wurde man vom Verkaufspersonal regelrecht bestürmt: Gut möglich, dass man der erste und letzte Kunde des Tages war.
Und noch etwas fällt auf an diesem Sonntag auf der Makarios: Beinahe jedes dritte Geschäft ist zu vermieten. Christos Avraamides ist Taxifahrer und er hat eine Erklärung: «Früher musste man eine halbe Million Euro hinblättern, bloss um so einen Laden mieten zu können. Und dann die Miete – gut und gerne 7000 Euro im Monat. So gut lief das Geschäft. Und jetzt? Jetzt steht alles leer.»
Leer bleiben auch die Tennisplätze beim «Nicosia Field Club». Nach Wettbewerb scheint heute Nachmittag niemandem zumute zu sein. Einer der wenigen Passanten auf der Strasse lacht im Vorbeigehen: «Game over!» Und ruft noch über die Schulter zurück: «Game, Set and Match for Angela Merkel!»
Viele zweifeln, ob die eigene Regierung wirklich auf der Gegenseite steht bei diesem Kräftemessen. Die Bevölkerung sei nie gefragt worden.
Der Nachmittag zieht sich hin
Vor dem Parlament tut sich nichts. Nicht einmal bei den Fernsehstationen, die dort ihre Kameras für Liveschaltungen aufgebaut haben. Die Journalisten warten – wie alle anderen auch. Auf Nachrichten aus Brüssel. Aber der Nachmittag zieht sich hin.
Das grosse Warten zermürbt Kameramann Georgios: «Wir wissen ja nicht einmal, ob das Parlament heute noch einmal zusammenkommt. Wird jetzt über diesen staatlichen Raub, diese Zwangsabgabe, abgestimmt oder nicht?»
Georgios ist überzeugt, dass es am nächsten Dienstag – wenn denn die Banken wieder öffnen – zu einem Sturm auf die Konten kommt. «Und dann hebe ich auch mein ganzes Geld ab. Egal ob es ein Rettungspaket gibt oder nicht. Dann vergrabe ich es im Garten!»
Sir Mervyn King, der Chef der Bank of England hat einmal gesagt: «Es ist irrational, einen ‹Bankrun› zu starten. Aber es ist sehr rational, sehr vernünftig, an einem ‹Bankrun› teilzunehmen.» Kameramann Georgios scheint Sir Mervyn gut zugehört zu haben.
Alles wartet
Bei der verlassenen Polizei-Absperrung beim Parlament liegt ein kleines Papierfähnchen mit der Flagge von Zypern im Staub. Manchmal bewegt es sich ein bisschen im leichten Wind. Sonst regt sich fast nichts. Alles wartet.
Bis auf heute Abend. Wenn sich die Finanzminister der Eurogruppe in Brüssel treffen, dann wird vielleicht wieder demonstriert beim Parlament. Und vielleicht nimmt dann wieder jemand das kleine Papierfähnchen in die Hand. Wenn es Nachrichten aus Brüssel gibt.