SRF News: Bedeuten die Ankündigungen der Amerikaner, künftig vermehrt Spezialeinheiten in den Kampf gegen den IS zu schicken und mit Teheran sprechen zu wollen eine Kehrtwende?
Michael Lüders: In gewisser Weise schon. Offenbar fühlen sich die Amerikaner nach dem Eingreifen der Russen in Syrien dazu ermutigt, selber auch verstärkt Flagge zu zeigen. Sie machen genau das, was sie sich eigentlich geschworen haben, nicht mehr zu tun – nämlich mit Bodentruppen in Syrien und im Irak tätig zu werden. Sicher wird es nicht eine umfangreiche Operation werden wie jene zum Sturz von Saddam Hussein 2003. Aber es wird immer wieder gezielte Kommandoeinsätze mit eingeflogenen Truppen geben, die vor Ort ein bestimmtes militärisches Ziel ausschalten sollen.
Das US-Verteidigungsministerium spricht von «begrenzten Einsätzen». Wird es dabei bleiben?
Es dürfte zumindest die Hoffnung des Pentagons sein, dass es bei begrenzten Einsätzen bleibt. Man weiss nie, wie sich ein Krieg entwickelt und es ist nicht auszuschliessen, dass aus den gelegentlichen Einsätzen dann doch etwas Grundsätzlicheres wird. Aber es ist offensichtlich, dass die Weichen in Washington gerade neu gestellt worden sind.
Warum gehen die USA dieses Risiko schon wieder ein?
Die Russen haben mit ihrem Einsatz in Syrien Fakten geschaffen und sich seit dem Ende des Kalten Krieges erstmals militärisch auf der Weltbühne zurückgemeldet. Das empfindet man in Washington als Provokation und Bedrohung der eigenen Ansprüche. Darauf möchte man nun reagieren. Zum anderen haben die Verantwortlichen in den USA auch erkannt, dass dem «Islamischen Staat» IS mit Luftangriffen allein nicht beizukommen ist. Es bedarf eines Einsatzes auch am Boden. Die Schwierigkeit besteht allerdings darin, die Balance zu finden, denn wenn die Amerikaner diese nicht finden, droht ihnen nach Afghanistan und Irak in Syrien ein weiteres Desaster.
Der Einsatz der Russen wird in den USA als Provokation empfunden. Darauf will man reagieren.
Auch im Umgang mit dem Iran zeigt sich ein Kurswechsel der Amerikaner ab. Washington hat Teheran zu den Syrien-Gesprächen Ende Woche in Wien eingeladen. Was bedeutet das?
- USA sind zu Bodeneinsätzen in Syrien und Irak bereit USA sind zu Bodeneinsätzen in Syrien und Irak bereit
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Die Amerikaner haben erkannt, dass es mit dem Iran in Sachen Syrien Vereinbarungen geben muss. Noch vor wenigen Wochen war es undenkbar, dass es ein solches Angebot an die iranische Seite geben könnte. Aber jeder, der es wissen will, weiss natürlich, dass es ohne den Iran und ohne Russland in Syrien keine Lösung geben kann. Die USA wissen auch, dass sie keine Alternative zum russischen Einsatz in Syrien und den Kontakten Assads zum Iran haben. So schmerzhaft das für die Syrer und die Politstrategen im Westen sein wird: Das Regime von Assad wird an der Macht bleiben. Man muss neue Wege gehen, und das versuchen die Amerikaner gerade. Sie haben sich mit dem Gesprächsangebot an den Iran deutlich bewegt und sind über ihren Schatten gesprungen.
So schmerzlich das für viele ist: Das Regime von Assad wird an der Macht bleiben.
Was erhoffen sich die Amerikaner denn konkret vom Iran? Wie soll Teheran zum Beispiel auf Assad einwirken?
Im Grunde wissen alle Beteiligten, dass es mittelfristig keine Lösung mit Baschar al-Assad geben wird. Er als Person wird sicherlich das Exil wählen müssen, sei es in Russland oder in einem anderen Staat – sofern er nicht einem Unfall oder Anschlag zum Opfer fällt. Den Russen und den Iranern geht es weniger um Assad als darum, das Regime in Syrien zu erhalten. Denn wenn es fallen würde, hätten beide Länder ihren Einfluss in Syrien verloren. Auch viele Minderheiten in Syrien – die Alawiten, Drusen und Christen – wollen nicht, dass dieses Regime stürzt. Nicht, weil sie dieses Regime lieben würden, sondern weil ihnen die Pest dieser berechenbaren Herrschaft lieber ist, als die mögliche Cholera eines Einmarsch des IS in Damaskus. Vor diesen Fakten zeigen die Amerikaner nun Einsicht und gehen einen enormen Schritt auf den Iran zu. Das wird innenpolitisch noch sehr grosse Auswirkungen haben. Die Republikaner und die Israel-Lobby wollen das natürlich nicht.
Es gibt für Syrien nur eine Lösung, wenn alle Beteiligten miteinander reden.
Kann man sagen, dass sich durch das Vorpreschen der Russen jetzt doch einiges bewegt und man ohne sie vielleicht noch nicht so weit wäre?
In der Tat, so kann man es sehen. Natürlich spielen auch die Russen ihr Machtspielchen, genauso wie die Amerikaner, Saudi-Araber oder Iraner. Aber egal, was man nun von der russischen Initiative hält: Es gibt für Syrien nur eine Lösung, wenn alle Beteiligten miteinander reden. Denn dort wütet ja längst nicht nur ein Bürgerkrieg, sondern es findet ein Stellvertreterkrieg mit Russland, den USA, Saudi-Arabien, dem Iran statt. Wenn man sich hier nicht verständigt, wird dieser Krieg endlos weitergehen und die ganze Region ausbluten. Auch die Europäer haben den Amerikanern signalisiert, dass es Lösungen geben muss. Denn es kann nicht sein, dass die Europäer den Preis bezahlen für eine in der Vergangenheit verfehlten Politik des Westens, des Irans und der Türkei gegenüber Syrien.
Das Gespräch führte Simon Leu.