1993 wurde das Kriegsverbrecher-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag ins Leben gerufen. Dass das Sondergericht in der Öffentlichkeit eine gewisse Wahrnehmung erfuhr, ist zum grossen Teil auf Carla Del Ponte zurückzuführen. Die Tessinerin wirkte von 1999 bis 2007 als Chefanklägerin des Uno-Tribunals in Den Haag.
Von Paris über London bis nach Washington und Moskau wurde das Jugoslawien-Tribunal dank Del Ponte zu einem öffentlichen Thema. Sie setzte die stille diplomatische Arbeit ihrer Vorgängerin Louise Arbour mit wesentlich mehr Lärm fort.
Del Ponte betrieb internationales Networking: Sie besuchte die wichtigsten Staatsführer und beklagte sich überall über die mangelnde Kooperation zur Verhaftung der mutmasslichen Kriegsverbrecher des Jugoslawienkriegs.
Papst verweigert Del Ponte Audienz
Dieses öffentliche Engagement wurde nicht überall gerne gesehen: 2005 vermutete Del Ponte, der angeklagte Kroate Ante Gotovina halte sich in einem kroatischen Franziskanerkloster auf. Als sie sich an den Vatikan wandte, verweigerte man dort der forschen Del Ponte eine Audienz beim Papst. Sie könne an einem Samstag auf den Petersplatz kommen, wenn sie den Papst sehen wolle, beschied man ihr.
Doch ihre Hartnäckigkeit führte die Tessinerin oft auch ans Ziel. So traf sie 2001 den zum Antrittsbesuch bei Nato und EU in Brüssel weilenden US-Präsidenten George W. Bush und seinen Aussenminister Colin Powell.
Del Pontes unermüdlicher Einsatz zur Ergreifung mutmasslicher Kriegsverbrecher ist mehrmals gewürdigt worden: So erhielt sie 2002 für ihre «couragierte Arbeit» den westfälischen Friedenspreis, ein Jahr später wählte sie das europäische Jugendparlament zur «Europäerin des Jahres». Sie scheue keine Kritik an Politikern jedweder Couleur und Herkunft, hiess es zur Begründung.
Kein Erfolg im Fall Karadzic und Mladic
Was die Chefanklägerin des Jugoslawien-Tribunals bis 2007 nicht schaffte, war die Verhaftung der mutmasslichen Kriegsverbrecher Radovan Karadzic und Ratko Mladic. Primär scheiterte dies daran, dass die Politiker und Behörden auf dem Balkan lange Zeit kein Interesse zeigten, die beiden Drahtzieher dingfest zu machen.
Zwar verfügte die Haager Anklagebehörde über mehrere sogenannte Tracking-Teams, welche sich intensiv mit dem Auffinden der Angeklagten beschäftigten. Da das Tribunal aber keine eigene Polizei hatte, war es auf die Zusammenarbeit mit den lokalen Sicherheitsbehörden angewiesen.
In der Zeit Del Pontes als Chefanklägerin gab es noch kein Druckmittel gegen die serbischen Behörden – im Gegensatz zu heute, da Serbien den Beitritt zur EU anstrebt. Dieser Druck führte schliesslich nach Del Pontes Abgang zur Verhaftung Karadzics (2008) und Mladics (2011) und deren Auslieferung nach Den Haag.
Steter Geldmangel behindert Arbeit
Doch auch die stetige Finanzknappheit des Tribunals machte es Del Ponte nicht leicht, den flüchtigen Angeklagten auf den Fersen zu bleiben. Denn die Uno kürzte laufend die Mittel für die Fahnder des Tribunals.
Der Geldmangel zieht sich denn auch wie ein roter Faden durch die Geschichte des Jugoslawien-Gerichts. Zwar wollen alle faire Prozesse, doch dies kostet viel Geld – Gerechtigkeit gibt es nicht umsonst.
Und: Die Lehre daraus ist nicht gezogen worden. Auch dem seit 2002 wirkenden Internationalen Strafgerichtshof (ICC) sind die Mittel bereits gekürzt worden. Dies, obschon das Tribunal permanent und weltweit tätig ist, und es überdies erst noch immer mehr Arbeit gibt.
(snep;basn)