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International «Das Westjordanland wird schleichend annektiert»

Das israelische Parlament berät über ein Gesetz, das die Räumung der Siedlung Amona im Westjordanland verhindern soll. Die Bauten auf palästinensischem Boden sollen nachträglich legalisiert werden. Ist das das Ende der Zweistaatenlösung? Antworten von Israel-Korrespondentin Inge Günther.

Inge Günther

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Seit 1996 arbeitet Inge Günther für die «Frankfurter Rundschau» als Korrespondentin in Jerusalem. 2005 wurde sie vom Medium-Magazin unter die zehn besten deutschen Reporter gewählt.

Gegen den Willen von Premierminister Benjamin Netanjahu hat das israelische Parlament am Mittwoch ein neues Gesetz beraten, das illegal errichtete Siedlungen im Westjordanland legalisieren soll. Primär geht es um den Aussenposten Amona, der auf palästinensischem Boden steht. Er müsste eigentlich bis zum 25. Dezember geräumt werden, wie das Oberste Gericht Israels angeordnet hatte.

SRF News: Welche konkreten Folgen hätte das neue Gesetz?

Inge Günther: Die konkreten Folgen würden eine ganze Reihe von Siedlungen betreffen: vorrangig die Aussenposten, die hauptsächlich auf privatem palästinensischem Boden errichtet worden sind. Das sind ungefähr 100 Siedlungen, Amona ist die grösste von ihnen. Entscheidend ist: Die Aussenposten sollen rückwirkend legalisiert werden. Die Bauten wurden zum Teil über Jahre hinweg illegal gebaut und Premierminister Benjamin Netanjahu hat versprochen, sie irgendwann wieder zu räumen. Mit diesem Gesetz sollen sie nun nachträglich legalisiert werden.

Israel könne nicht privaten Grund auf palästinensischem Boden konfiszieren, um ihn der privaten Nutzung von Israel zu überlassen, hat ein staatlicher israelischer Rechtsberater erklärt. Das verstosse klar gegen geltendes Recht, auch gegen internationales. Wie soll das umgesetzt werden?

Das ist völlig unklar. Es gibt auch einige Stimmen im Regierungslager – etwa Finanzminister Mosche Kachlon – die Zweifel äussern. Allerdings hat auch Kachlon heute der ersten Lesung des Gesetzes zugestimmt. Aber es hörte sich so an, als ob er die rückwirkende Klausel in der nächsten Lesung, in der das Parlament das Gesetz nochmals bearbeitet, wieder herausnehmen möchte.

Netanjahu hat versprochen, die Siedlungen irgendwann wieder zu räumen. Nun sollen sie nachträglich legalisiert werden.

Wer steckt hinter dem Gesetzesentwurf? Und was verspricht man sich davon? Ein faktisches Ende der Zweistaatenlösung?

Audio
Knesset diskutiert Gesetz zugunsten illegaler Siedlungen
aus Echo der Zeit vom 16.11.2016. Bild: Reuters
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 26 Sekunden.

Das sind die National-Rechten, die es in verschiedenen Parteien der Koalition gibt – sowohl im Likud, aber vor allem auch in der Partei «Jüdisches Heim» von Naftali Bennett. Natürlich hofft er auf ein Ende der Zweistaatenlösung. Er hat das ja bereits proklamiert, als Donald Trump die US-Wahlen gewann. Das Gesetz allein würde allerdings nicht reichen, um die Zweistaatenlösung zu kippen, aber es wäre doch ein weiterer, ganz deutlicher Schritt in diese Richtung.

Warum will Netanjahu das verhindern?

Er möchte kein Gesetz, das eklatant gegen ein Urteil des Obersten Gerichts verstösst und daher rechtsstaatlich höchst fragwürdig ist. Er möchte auch nicht, dass es wieder sehr scharfe internationale Reaktionen gibt – gerade jetzt nicht, in der Übergangszeit in den USA. Zudem erachtet er das Gesetz wohl als Druckversuch des Bildungsministers und als Versuch, ihn vorzuführen.

Kann es sich Netanjahu erlauben, sich gegen die Interessen der Siedler zu stellen?

Natürlich befürchtet Netanjahu auch, dass die Siedlerlobby ihm gefährlich werden könnte. Er hat letztendlich auch mit deren Stimmen die Wahlen gewonnen. Bei den nächsten Wahlen wird es im Grunde genommen darum gehen, ob der Rechtsaussen-Mann Bennett es gegen Netanjahu aufnehmen kann. Deshalb schaut der Premier immer sehr darauf, was von Rechts kommt. Möglicherweise macht ihm das grössere Angst, als die möglichen internationalen Reaktionen – zumal diese ja meist eher in Form von Bedenken vorgetragen werden.

Der Israel-Palästina-Konflikt ist aus den internationalen Schlagzeilen verschwunden und wird international kaum noch beachtet. Nützt die Siedlerbewegung das gezielt aus?

Das ist offensichtlich. Die Siedlerbewegung hofft sehr, die nachlassende internationale Aufmerksamkeit dazu nutzen zu können, um beispielsweise Teile des Westjordanlands zu annektieren. Bennetts Siedlerpartei proklamiert auch ganz ausdrücklich, dass Israel die grossen Seegebiete annektieren solle. Das sind 60 Prozent des Westjordanlandes, in denen die Siedlungen stehen. Im Grunde genommen kann man auch sagen, dass fast schon eine schleichende Annektierung stattfindet.

Die Siedler hoffen, die nachlassende internationale Aufmerksamkeit dazu nutzen zu können, um Teile des Westjordanlands zu annektieren.

Hat Palästina diesen Plänen nichts entgegenzusetzen?

Die Palästinenser haben sich sehr lange auf ihre diplomatischen Initiativen verlassen, sich insbesondere an die UNO gewandt und damit gedroht, sich an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu wenden. Für sie ist nicht viel dabei herausgekommen. Zudem ist die Palästinenserführung geschwächt. Vor allem Präsident Mahmud Abbas hat sehr an Rückhalt verloren. Darüber hinaus sind die Palästinenser nach wie vor gespalten: die Hamas in Gaza auf der einen und die Fatah im Westjordanland auf der anderen Seite. Dem Gesetz können sie wohl nicht viel entgegensetzen, solange sie sich nicht zu einer Einheit zusammengefunden haben. Und wie das je geschehen könnte, ist auch noch nicht klar. Die Palästinenser sind im Moment sicher in einer misslichen Lage.

Das Gespräch führte Matthias Kündig

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