In der Flüchtlingskrise will die EU-Kommission mit milliardenschweren Investitionen Länder in Afrika und im Nahen Osten dazu bewegen, Flüchtlingsströme in Richtung Europa zu stoppen. Mit einer Mischung aus positiven und negativen Anreizen sollen jene Staaten belohnt werden, die zur Zusammenarbeit bereit sind. Einschätzungen dazu von Brüssel-Korrespondent Sebastian Ramspeck.
SRF News: Wie stellt die Kommission diese Vereinbarungen vor?
Sebastian Ramspeck: Sie möchte das ähnlich gestalten wie die Flüchtlingsvereinbarung, die sie im März mit der Türkei getroffen hat. Staaten im Nahen Osten oder in Afrika sollen sich verpflichten, Menschen von der Flucht nach Europa abzuhalten. Im Gegenzug sollen diese Staaten ein Dankeschön bekommen – also Geld.
Mit welchen Staaten will man solche Vereinbarungen schliessen?
Zunächst einmal mit Jordanien und dem Libanon, wo sich zurzeit sehr viele syrische Flüchtlinge aufhalten. In einem zweiten Schritt sollen dann fünf afrikanische Ländern an der Reihe sein – darunter Nigeria und Äthiopien. Mit den zwei Maghreb-Staaten Tunesien und Libyen stellt die EU schliesslich eine engere Zusammenarbeit in Aussicht. Vor allem von Libyen aus versuchen ja viele verzweifelte Menschen, übers Mittelmeer nach Europa zu gelangen.
Spätestens wenn es um Libyen geht, wird es aus menschenrechtlicher Sicht aber sehr problematisch.
Verschiedene EU-Parlamentarier haben bereits heftig Kritik geübt, zum Beispiel der Vorsitzende der liberalen Fraktion, Guy Veerhofstadt. Er sagte am Nachmittag, solche Deals seien für die Flüchtlinge eine Tragödie. Aber die EU-Kommission und vor allem die EU-Staaten wollen, dass möglichst wenige Flüchtlinge und Migranten nach Europa kommen. Um dieses Ziel zu erreichen, sind sie bereit, ein Auge zuzudrücken, wenn es um die Menschenrechte geht.
Ich wage zu bezweifeln, dass sich Länder wie Äthiopien von einer solchen Zusammenarbeit überzeugen lassen.
Abgesehen von menschenrechtlichen Bedenken: Kann die EU ihr Ziel, die Zahl der Flüchtlinge zu verringern, mit solchen Vereinbarungen erreichen?
Mit der Türkei hat es in den letzten zwei Monaten funktioniert. Die Türkei hat mitgemacht, weil sie ein strategisches Ziel verfolgt – sie will eine Annäherung an die EU. Ich wage zu bezweifeln, dass es gelingt, Staaten wie Äthiopien mit dem Versprechen, die Entwicklungshilfe ein bisschen zu erhöhen, von einer solchen Zusammenarbeit zu überzeugen. Vergessen wir nicht: Allein in Äthiopien leben rund 750'000 Flüchtlinge – mehr als in fast jedem EU-Land.
Das Gespräch führte Roman Fillinger.